Nationalrat, XXII.GPStenographisches Protokoll101. Sitzung / Seite 128

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Frau Bundesministerin Gehrer hat von hundertprozentiger Durchlässigkeit des österrei­chischen Schulsystems gesprochen. – Frau Kollegin Brinek, das wird nicht richtiger, je öfter Sie es wiederholen. Die hundertprozentige Durchlässigkeit des österreichischen Schulsystems sehe ich bei weitem nicht gegeben, Frau Bundesministerin! Dazu muss man noch einmal die Zahlen aus der neuen Studie des Instituts für Familienforschung zitieren, wonach die Chancen von Kindern, deren Eltern Akademiker sind und in der Stadt leben, bei rund 90 Prozent liegen, eine AHS mit Matura abzuschließen, während die Chancen darauf von Kindern, deren Eltern auf dem Land leben und maximal die Pflichtschule abgeschlossen haben, lediglich bei 7 Prozent liegen. (Abg. Dr. Brinek: Weil in der Stadt auch mehr Akademiker leben als am Land!)

Die Chancen sind also nach wie vor in einem extrem hohen Ausmaß von der sozialen und der regionalen Herkunft bestimmt. Von hundertprozentiger Durchlässigkeit kann man da wirklich nicht reden! (Abg. Rädler: Diese Vergleiche! Sandkastenspiele!)

Frau Bundesministerin, Sie fragen uns, wann wir denn Chancengerechtigkeit wirklich erreicht sehen. Erst dann, wenn alle Matura gemacht haben? – Nein, natürlich nicht! (Abg. Dr. Sonnberger: Sondern?) Es ist selbstverständlich klar, dass das kein Ziel sein kann. Das ist leider bloß Uralt-Polemik, Frau Bundesministerin. Es geht nicht darum, dass alle Matura machen müssen – bei weitem nicht, selbstverständlich nicht! Aber es geht darum, dass alle – gleich welcher sozialen oder regionalen Herkunft –, die gleiche Chance haben, Matura zu machen – oder welchen Bildungsabschluss auch immer sie gerne machen möchten, eben entsprechend ihren Fähigkeiten und ihren Interessen. (Abg. Dr. Sonnberger: Selbstverständlich, Frau Kollegin!)

Genau das ist aber im österreichischen Schulsystem offensichtlich nicht gegeben, und genau daraufhin muss man es überprüfen und weiterentwickeln. (Abg. Dr. Brinek: Genau das ist der Punkt!)

Kollege Amon hat Kollegem Niederwieser vorgeworfen, er sei die Antworten schuldig geblieben; er hätte nur den Befund gelegt, dass die soziale Selektion so enorm ist. – Ich denke, die Antworten werden im Gefolge der PISA-Studie von unserer Seite per­manent diskutiert.

Erstens: Ansetzen bei der Frühförderung. Man kann es nicht oft genug wiederholen. Sie tun aber leider nichts, um zusätzliche Kindergartenplätze zur Verfügung zu stellen, damit alle Kinder die Möglichkeit haben, schon im frühen Alter entsprechend gefördert zu werden. (Abg. Rädler: Schauen Sie einmal Niederösterreich an! Gehen Sie nicht immer von Wien aus! Abg. Dr. Sonnberger: Schauen Sie sich einmal die Zahlen von Wien an! 350 €!)

Zweitens werden die Fördermaßnahmen nicht ausgebaut. Die sind – im Gegenteil – in den österreichischen Schulen in den letzten Jahren zurückgefahren worden. Und da die Frau Bundesministerin die Stundenreduktion wieder erwähnt hat: Die Entlastung der Schüler hatten wir uns nicht so vorgestellt, dass die Fördermaßnahmen – und das ist das Resultat! – und der Turnunterricht eingespart werden. Das hat sich niemand darunter vorgestellt!

Der dritte wichtige Punkt ist die in allen Befunden immer wieder angesprochene Frage der viel zu frühen Selektion im österreichischen Bildungssystem. Diese Studie des In­stituts für Familienforschung sagt auch, dass an jedem Verzweigungspunkt eben diese soziale Selektion verstärkt wird.

Daher – und damit komme ich zum Schluss – wäre es wichtig, offen zu diskutieren; auch über die gemeinsame Schule der 6-Jährigen bis 14-Jährigen! – und nicht zum Schaden der Kinder in Österreich ideologische Scheuklappen anzulegen. (Beifall bei der SPÖ. Abg. Dipl.-Ing. Scheuch: Das ist eine Erkenntnis! Selbsterkenntnis!)

16.26

 


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