Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 109. Sitzung / Seite 46

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unzufrieden sind, eine europäische Regierung, die es nicht gibt, loswerden und durch eine andere ersetzen. Sie können an den Wahlen zum Europäischen Parlament teil­nehmen – das ist bedeutend, aber jeder weiß, es ist nicht bestimmend über eine europäische Regierung.

Das europäische Institutionensystem – es gibt gute Gründe dafür, dass es so ist – teilt eben Verantwortung so breit auf, dass das normale Wechselspiel der Demokratie auf europäischer Ebene nicht möglich ist. Ich glaube, wenn man möchte, dass es auf europäischer Ebene eine stärkere Identifikation des Einzelnen und der Einzelnen mit dem europäischen Projekt gibt, dann müssen wir auch irgendwann zu einer euro­päischen Demokratie kommen, die so funktioniert wie auf nationaler Ebene, dass nämlich der einzelne Bürger die Möglichkeit hat, eine Regierung abzuwählen oder zu bestätigen. (Abg. Scheibner: Kann aber auch immer nur das Parlament! – Zwischenruf des Abg. Mag. Molterer.)

Ich weiß, dass das keine einfache Angelegenheit ist, aber wenn man diese Unzufrie­denheit aufgreifen will, dann muss man dorthin kommen. Wir müssen uns doch folgende Frage stellen: Wenn jemand in Österreich mit der Politik nicht einverstanden oder unzufrieden ist oder die Regierung kritisiert, dann wird er trotzdem nicht auf die Idee kommen, Österreich in Frage zu stellen. Gibt es hingegen an Europa Kritik, gibt es an der europäischen Politik Kritik und sind die Menschen unzufrieden mit der euro­päischen Politik, dann werden komischerweise immer gleich Europa und die Euro­päische Union in Frage gestellt. Und wenn man das nicht haben möchte, weil man die Europäische Union für wichtig und für unverzichtbar hält, dann muss man auch auf europäischer Ebene einen Mechanismus schaffen, durch den die Menschen ihre Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit der jeweiligen Politik ausdrücken können. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Sburny.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daher bin ich der Meinung, dass diese EU-Verfassung einen wichtigen Schritt vorwärts darstellt, aber viele dieser Grundprobleme Europas auch mit der europäischen Verfassung nicht beantwortet werden. Natürlich gibt es viele, die sagen, die Europäische Verfassung hätte besser sein können. Dieser Meinung bin ich auch. Ich bin auch der Meinung, dass der Vorschlag, den der Konvent auf europäischer Ebene erarbeitet hat, besser war als der Entwurf, der uns heute vor­liegt. Nur: Die Alternative, über die wir heute zu entscheiden haben, ist nicht diese Ver­fassung oder eine bessere Verfassung, sondern die Alternative, die vor uns liegt, lautet: entweder diese Verfassung oder das Weiterwirken des so genannten Vertrags­europas mit einer noch größeren Unübersichtlichkeit.

Daher stellt sich, glaube ich, nicht die Frage zwischen dem Guten und dem Besseren, sondern es stellt sich die Frage zwischen dem, was man jetzt bekommen kann, und dem, was man sonst hätte. Und wenn ich vor diese Alternative gestellt werde, dann muss ich sagen, diese Europäische Verfassung ist allemal besser als das bisherige „Vertragseuropa“, und daher sollten wir gemeinsam dieser europäischen Verfassung heute auch zustimmen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie bei Abgeordneten der Grünen und der Freiheitlichen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt auch die Diskussion darüber, warum diese Verfassung nicht eine christdemokratische, nicht eine sozialdemokratische, nicht eine liberale, nicht eine grüne Verfassung ist. Das ist die Diskussion, die in Frankreich sehr stark geführt wird. Ich meine, dass die österreichische Bundesverfassung auch weltanschaulich nicht zuordenbar ist. Und eine Europäische Verfassung kann nicht einer politischen Strömung in Europa ganz besonders entgegenkommen, sondern muss einen Rahmen für politisches Gestalten bieten. Daher darf man auch nicht die Illusion erwecken, dass es mit dem Beschluss dieser Verfassung schon bessere Politik in Europa geben wird. Aber die EU-Verfassung schafft die Chance und die Voraus-


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