Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 109. Sitzung / Seite 52

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Ich kann das nicht nachvollziehen. In der österreichischen Verfassung zum Beispiel sind die sozialen Grundrechte nicht so verankert wie in der Europäischen Verfassung. Das allein spricht schon gegen das Argument der neoliberalen Schlagseite.

Natürlich gibt es Punkte, die nicht zu unserer Zufriedenheit ausgefallen sind, und dies gilt für jede politische Partei und jede Bürgerin und jeden Bürger dieses Landes, die beziehungsweise der sich ernsthaft damit auseinander setzt.

Aus unserer Sicht besonders heikel sind einige Formulierungen im Bereich der Militär- und Sicherheitspolitik im Teil III des Verfassungsvertrages beziehungsweise auch im ökologischen Bereich, ungeachtet einiger sehr gut formulierter Zielbestimmungen die leidige Frage des Euratom-Vertrages. Jetzt kann man sagen, es war schon ein Riesen­erfolg, dass der Euratom-Vertrag nicht, so wie ursprünglich geplant, Teil der Ver­fassung wird – das hätte es uns, den Grünen, sehr schwer gemacht, der Europäischen Verfassung zuzustimmen, falls dies überhaupt möglicht gewesen wäre –, sondern immerhin außerhalb des Vertrages angesiedelt wird, sodass es zumindest theoretisch möglich ist, Mitglied der Europäischen Union zu sein, ohne dem Euratom-Vertrag beizutreten.

Also insgesamt meine ich, dass die Fundamente für eine europäische Demokratie hier tatsächlich in einer nachvollziehbaren, konkreten Weise gelegt werden. Und das wird Europa, die Europäische Union gegenüber vielen, vielen anderen Staaten auf der Welt zu etwas deutlich anderem machen.

Ich will nicht sagen: Vorbild, weil ich ungern Vorbild für jemanden bin, aber es ist schon etwas sehr Schönes, was da entsteht, ohne – wie schon Herr Scheibner gesagt hat – allzu euphorisch zu werden. Ich möchte aber trotzdem auch in Erinnerung rufen, dass die Alternative nicht irgendeine Idealverfassung ist, die wir uns alle anders geschrieben hätten, also schlicht der Vertrag von Nizza, also gerade jener Vertrag, dessen Mängel ja die Diskussion über diese Verfassung überhaupt erst entfacht haben. (Präsidentin Mag. Prammer übernimmt den Vorsitz.)

Da muss man sich schon in Erinnerung rufen: Als vor vier Jahren der Vertrag von Nizza beschlossen wurde, war die Frustration über dieses Vertragswerk so groß, und zwar quer durch Europa, dass erst daraufhin der Europäische Konvent eingesetzt wurde und im letzten Jahr schlussendlich doch eine Einigung über diesen Verfas­sungsvertrag erzielt werden konnte. Genau auf dieses miserable Vertragswerk würde Europa zurückfallen, wenn der Verfassungsvertrag, wie er jetzt vorliegt, nicht ange­nommen würde.

Wenn man sich kurz zurückerinnert, wie oft das auf der Kippe stand und wie eine Zeit lang zum Beispiel Polen und Spanien den Verfassungsvertrag blockiert haben, und zwar zum Teil mit – wie soll ich sagen? – einer emotionalen Überschwänglichkeit, die einem in der Politik sehr selten gut bekommt, nämlich beispielsweise mit dem Slogan „Nizza oder der Tod!“ als Schlachtruf für den Vertrag von Nizza und gegen den Entwurf des Konvents für eine Europäische Verfassung, und wie es erst möglich ge­worden ist, über die Verfassung zu reden, nachdem in Spanien Neuwahlen stattge­funden haben und dieser Teil der Blockade weggefallen ist, sodass auch unsere Freunde in Polen sich sozusagen eines Besseren besinnen konnten, muss man sagen: Angesichts all dieser Schwierigkeiten wäre es sehr leichtfertig, nein zu dieser Verfas­sung zu sagen und zu meinen, wir würden dann eine bessere kriegen.

Nein! Wenn wir das nicht annehmen, werden wir in Depression versinken und auf absehbare Zeit gar keine neue, geschweige denn bessere Verfassung bekommen, sondern mit dem miserablen Vertrag von Nizza irgendwie dahinwursteln müssen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ sowie des Abg. Dr. Khol.)

 


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