Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 109. Sitzung / Seite 64

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11.43.59

Abgeordnete Dr. Eva Glawischnig (Grüne): Frau Präsidentin! Herr Bundeskanzler! Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte eine allgemeine Bemerkung vorausschicken, nämlich die Frage: Wozu braucht man eigentlich eine Verfassung? Was für einen Sinn hat eigentlich eine Verfassung? – Das ist etwas, wo man sich nicht immer ganz bewusst ist, was das eigentlich bedeutet, weil es so selbstverständlich ist. Eine Verfassung begrenzt die Willkür von staatlichem Handeln und hat auch die Aufgabe, durch das Festlegen von Grundrechten Freiheiten und Rechte von Bürgerinnen und Bürgern gegenüber dem staatlichen Gebilde zu definieren. Und das ist etwas ganz Wichtiges. Das Gegenteil von einem Verfassungsstaat ist eine Diktatur. – Eine Verfassung auf europäischer Ebene zu schaffen ist daher ein ganz wichtiges Anliegen.

Historisch ist die Europäische Union ja ganz eigenartig zustande gekommen: mit drei Verträgen, die auf ganz andere Überlegungen zurückgehen, nämlich EURATOM – die Begünstigung einer einzigen Energiequelle –, der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Und aus dieser Wirtschaftslastigkeit haben sich immer weiter sehr wirtschaftslastige Frei­heiten entwickelt, die so genannten vier Freiheiten im Binnenmarkt.

Das ganze andere Gebilde, nämlich die Grundrechte, hat gefehlt, und die Situation der europäischen Verfassung war bis jetzt die, dass sie ein Torso war, dass nur eine einzige Seite existiert hat und die andere nicht. Deswegen ist es so wichtig, dass in diesem europäischen Verfassungsvertrag jetzt erstmals ein Grundrechtekatalog fest­geschrieben wird, erstmals das fehlende zweite Glied zu diesen Grundfreiheiten fest­gelegt wird. (Beifall bei den Grünen, bei Abgeordneten der SPÖ und der ÖVP sowie des Abg. Scheibner.)

Die österreichischen Grünen haben damals, als es um die Frage gegangen ist, ob Österreich der Europäischen Union beitreten soll, mit Kritik und mit Skepsis reagiert. Und wir haben damals eine Vision gehabt, gemeinsam mit den EFTA-Staaten all das, was damals an der Europäischen Union – damals noch: an der EG – kritikwürdig war, in einem Alternativ-Europa zu schaffen. Diese Vision ist nicht zustande gekommen. Die österreichische Bevölkerung hat sich mit sehr, sehr großer Mehrheit für die Euro­päische Union, damals noch Europäische Gemeinschaft, entschieden. Wir sehen un­sere Aufgabe jetzt darin, auf allen Ebenen für eine Verbesserung der Europäischen Union zu arbeiten: dass sie ökologischer wird, dass sie nachhaltiger wird, dass sie sozialer wird, dass sie eine Friedensmacht auf der Welt wird – wer soll das sonst weltweit machen? –, und dafür arbeiten wir. Dafür arbeitet Johannes Voggenhuber im Europaparlament und wir hier auch in diesem Parlament.

Deswegen ist unsere Antwort auf diese Diskussion: EU-Verfassung: ja oder nein? eine ganz eindeutige, nämlich: Ja, wir wollen sie, aber wir wollen sie auch verändern! Wir wollen sie weiterentwickeln, und wir wollen, dass das, was jetzt da ist, verbessert wird.

Wenn ich diese kritischen Stimmen höre, die so tun, als gäbe es jetzt hiezu eine Alter­native, als könnte man sich die ideale Verfassung einfach wünschen, dann finde ich das etwas kurzsichtig. Man muss immer für das Bessere kämpfen, und man kann nicht sagen: Ich will das nicht!, aber keine Alternative sehen. Es gibt im Moment nur diese eine Alternative, diesen Verfassungsvertrag. Und die Aufgabe all der Kritiker und Kriti­kerinnen ist, daran zu arbeiten, dass sich das verbessert – aber nicht, das zu verhin­dern. (Beifall bei den Grünen.)

Ich war in den letzten zwei Tagen krankheitsmäßig etwas angeschlagen, was man auch an der Stimme hört – es ist viel zu kalt für Mai, für diese Jahreszeit –, und ich grüße an dieser Stelle alle, die zu Hause krank im Bett liegen. Ich hatte aber bei dieser


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