Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 109. Sitzung / Seite 65

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Gelegenheit die Möglichkeit, mir zwei, drei Tage lang die vielen Beiträge, die jetzt auf allen Fernsehkanälen anlässlich des 60. Jahrestages des Kriegsendes laufen, in voller Länge anzuschauen. Und selbst ich als jemand, der schon von Jugend an politisch sehr interessiert war, war erschüttert. Diese Berichte über die letzten Kriegstage, über die Zwangslager, all die Bilddokumente, auch über den Nürnberger Prozess, all das, was jetzt anlässlich dieses Gedankenjahres noch einmal in Bildern vor uns ersteht, darf eines nicht in Vergessenheit geraten lassen: Die Europäische Union hat eines ge­schafft, was, glaube ich, in der europäischen Geschichte einzigartig ist, nämlich dass ein Krieg zwischen Staaten in Europa undenkbar geworden ist. Es lagen zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Zweiten Weltkrieg nur zwei Jahrzehnte, und es gab im Ersten Weltkrieg zehn Millionen Tote und im Zweiten Weltkrieg schon 60 Millionen Tote. Man stelle sich vor, es hätte noch einen dritten Weltkrieg gegeben! – Und das ist die große, große Leistung dieser Europäischen Union, und auf die kann man an dieser Stelle auch stolz sein! (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten der SPÖ, der ÖVP und der Freiheitlichen.)

Zu den Kritikpunkten an diesem Verfassungsvertrag: Es gibt die Kritik – und diese ist nicht unberechtigt –, dass darin noch sehr viele neoliberale Elemente der Gründungs­dokumente und auch des Vertrages von Nizza verankert sind. Das stimmt, aber auch nur teilweise. Wenn man sich die Europäische Grundrechtecharta anschaut, dann kann man feststellen, dass darin Dinge verankert sind, die in Österreich und in der öster­reichischen Diskussion, im Österreich-Konvent undenkbar gewesen wären, nämlich vor allem die sozialen Grundrechte. Es ist darin ein Recht auf Bildung verankert – jeder Mensch hat das Recht auf Bildung sowie auf Zugang zu beruflicher Ausbildung und Weiterbildung –; es ist sogar eine positive Diskriminierung der Frau darin verankert – das wäre in Österreich auch undenkbar gewesen, da hat es auch viele Stimmen dage­gen gegeben von Ihrer Seite –; es gibt ein Recht auf soziale Teilhabe, unabhängiges Leben, kulturelle Teilhabe für ältere Menschen, für behinderte Menschen, dass Men­schen mit Behinderungen integriert werden; und es gibt auch so etwas wie kollektive Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte, das Streikrecht zum Beispiel – auch das ist in unserer österreichischen Bundesverfassung noch lange nicht verankert und noch lange nicht in Sicht.

Das sind Errungenschaften auf der europäischen Ebene, angesichts derer sich jeder und jede, die gegen diese Verfassung auftreten, darüber im Klaren sein müssen, dass sie damit auch gegen einen europäischen Grundrechtekatalog argumentieren, der in der gesamten Grundrechtediskussion ein echter Meilenstein ist und von dem positive Impulse nicht nur für die Europäische Verfassungs-Weiterentwicklung, sondern auch für die Weiterentwicklung der gesamten Welt in Richtung Friedensunion, Nach­haltigkeit, ökologische und soziale Sicherheit ausgehen.

Nichtsdestotrotz, die Grünen werden weiterhin diese kritischen Stimmen hören, wir werden sie ernst nehmen, und wir werden diese Kritik in die Europäische Union hinein­tragen und diese verändern und verbessern.

Ein abschließender Gedanke noch zu den Freiheitlichen – zu BZÖ, FPÖ, mir Wurscht, wie sie sich nennen –: Ich bin sehr, sehr verärgert darüber, wie Sie die Bevölkerung verhöhnen – und ich sage das ganz bewusst in diesem Ton: verhöhnen! Wir haben seit Wochen und Monaten im österreichischen Verfassungsausschuss versucht, über die Frage Volksabstimmung zu diskutieren. Es hat Anträge von Bürgerinitiativen gegeben, es hat eine Petition gegeben, dass man sich das ernsthaft anschaut, dass man Ver­fassungsrechtler dazu hört und sich mit dieser Frage auseinander setzt. Es war nicht einmal möglich, von Ihnen eine Zustimmung zur Diskussion zu erhalten; sogar die Dis­kussion wurde niedergestimmt! Und dann, drei Tage vor Beschlussfassung im Nationalrat, geht Ihr angeblicher Chef, Parteichef – was auch immer das ist in dieser


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