Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 109. Sitzung / Seite 80

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12.41.24

Abgeordneter Dr. Peter Pilz (Grüne): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen von den blauen und orangen Freiheitlichen! Ich ersuche Sie dringend, dieses Haus in einer sehr wichtigen Debatte nicht mehr mit dem Umstand zu behelligen, dass Sie außerhalb des Hauses gegen die Verfassung und für eine Volks­abstimmung sind und in diesem Haus für die Verfassung und gegen eine Volksabstim­mung sind. Das Ganze ist verwirrend genug. Reden wir über die Verfassung und nicht über Ihre Probleme! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Wir stimmen heute mit ja, und zwar aus großer Überzeugung mit ja, weil die öster­reichische Bevölkerung uns allen in einer Volksabstimmung den Auftrag gegeben hat, nicht nur Österreich politisch ins neue Europa hineinzuführen, sondern auch darum zu kämpfen, dass dieses neue Europa ein demokratisches Europa wird. Auch wenn vieles fehlt und der Verfassungsprozess erst begonnen hat: Wir haben zum ersten Mal ein Fundament aus Demokratie und Menschenrechten in einem geeinten Europa! Das ist etwas Erstaunliches, und das ist etwas, was vor zehn, fünfzehn Jahren niemand auch nur einem der beteiligten Mitgliedstaaten zugetraut hätte. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Das ist eines der größten und bedeutendsten politischen Reformwerke, an denen auch Abgeordnete des österreichischen Nationalrates beteiligt waren. Wir hatten damals einen Auftrag, zu verhandeln; nicht einen Auftrag, alle zehn Jahre die Volksabstim­mung über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union zu wiederholen, sondern einen großen Auftrag der österreichischen Bevölkerung durch Verhandlungen zu einem positiven Abschluss zu führen. Wenn wir zu diesem positiven Abschluss gelangt sind, dann hat der österreichische Nationalrat die Verantwortung, darüber abzustim­men. Dass es eine große Mehrheit dafür geben wird, heißt einfach, dass zumindest heute die gemeinsame Chance erkannt wird.

Aber wir werden bereits morgen wieder über die Zukunft Europas streiten müssen. Das wird ein wichtiger Streit werden. Wir werden mit dem Bundeskanzler darüber streiten, ob es ein Europa einer gemeinsamen Friedensordnung oder ein Europa der Aufrüs­tung und der militärischen Interventionen sein soll. Wir werden darüber streiten müs­sen, ob es Einsätze zur Friedenserhaltung nur mit einem Mandat der Vereinten Na­tionen gibt oder ob sich Europa auf gefährliche militärische Missionen ohne völker­rechtliche Mandate einlässt. Und wir werden darüber streiten, ob es ein Europa der Kanzler und der Regierungen wird, wie es der Bundeskanzler in den Verhandlungen vehement betrieben hat, oder ob es ein Europa der Bürgerinnen und Bürger und der Parlamente wird! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.) Und da, Herr Bundeskanzler, werden Sie, wie in der Vergangenheit, einer unserer Hauptgegner sein.

Aber das Letzte und das Wichtigste wird die Auseinandersetzung über die soziale Zu­kunft Europas sein. Denn die Menschen, die heute „Wir wollen abstimmen!“ sagen, fragen uns doch etwas ganz anderes: Soll das – wie Sie es vertreten, Herr Bun­des­kanzler – wirklich ein Europa sein, in dem große Konzerne den einzelnen Staaten drohen:

Wenn ihr nicht noch weiter in der Gewinnbesteuerung und in der Vermögens­besteu­erung heruntergeht, und wenn ihr nicht kapituliert und dafür sorgt, dass nur noch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Steuer zahlen, dann werden wir ins nächste Land wandern? (Präsidentin Mag. Prammer gibt das Glockenzeichen.)

Hier, Herr Bundeskanzler, geht es darum, ein europäisches Gegengewicht zu schaffen, ein europäisches Gegengewicht einer fairen Besteuerung, der Gerechtigkeit, des sozialen Ausgleichs und der Sicherheit (Präsidentin Mag. Prammer gibt neuerlich das Glockenzeichen), weil – Frau Präsidentin, das ist mein Schlusssatz (Zwischenrufe bei


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