Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 110. Sitzung / Seite 125

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war es ganz egal, warum sich der Deserteur „der Manneszucht“ entzog. Deserteure galten als „Verräter“ an der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft und wurden aufs Härteste verfolgt. Rund 15.000 von den Wehrmachtsgerichten zum Tode verurteilte und hingerichtete Deserteure belegen die unglaubliche Brutalität der Militärgerichte. Festzuhalten bleibt, dass die Tat der Desertion aus der Deutschen Wehrmacht richtig war.

Im Gegensatz zu Österreich erfolgte in Deutschland die volle Rehabilitierung der Kriegsdienstverweigerer, Wehrmachtsdeserteure und der sogenannten „Wehrkraftzer­setzer“ aus der NS-Zeit im Jahr 2002 mit Beschluss des Bundestages.

Ein Erlass des Bundesministeriums für Justiz, JABl 7/2004, weist darauf hin, dass neben dem Aufhebungsgesetz 1945 auch die Befreiungsamnestie, BGBl 79/1946, Anwendung zu finden hat. Beide Gesetze sehen die pauschale Ungültigkeit der Ver­urteilungen ex lege vor. Die umfassende Umsetzung durch die erforderlichen Gerichts­beschlüsse lässt aber noch immer auf sich warten. „Rehabilitierung ist aber eine offizielle, öffentliche und individuelle Wiederherstellung der Rechte und auch der per­sönlichen Ehre der Opfer. In juristischem Sinne versteht man darunter die Beseitigung des Makels einer Strafe durch offizielle Aufhebung der Verurteilung“, schreibt Dr. Kohl­hofer in seinem Vorwort zu dem Buch, in dem die Ergebnisse des oben erwähnten Symposiums veröffentlicht wurden, und er argumentiert weiter: „Eine Rehabilitierung, von welcher weder die entehrten, bestraften und verfemten Personen wissen, noch das für die Rehabilitierung zuständige Bundesministerium für Justiz und schon gar nicht die Öffentlichkeit, ist keine Rehabilitierung! Die unmittelbar nach dem Krieg beschlossenen Gesetze stellten bestenfalls den (leider gescheiterten) Versuch dar, den zu unrecht Verurteilten Gerechtigkeit zu erweisen. Der österreichische Gesetzgeber ging in seinem Entschließungsantrag aus dem Jahr 1999 davon aus, dass bisher eine Rehabi­litierung nicht erfolgt ist. Dies zeigt mit nicht zu überbietender Deutlichkeit, dass der nunmehrige Verweis auf eine durch eben diesen österreichischen Gesetzgeber bereits vor Jahrzehnten erfolgte Rehabilitierung unhaltbar ist.

Der Standpunkt des Bundesministeriums für Justiz ist aber nicht nur aus diesen pragmatischen Überlegungen unhaltbar, sondern auch inhaltlich verfehlt: Sowohl das Aufhebungs- und Einstellungsgesetz aus dem Jahre 1945 als auch die so genannte „Befreiungsamnestie“ aus dem Jahre 1946 normieren übereinstimmend, dass verschie­dene Verurteilungen durch nationalsozialistische Gerichte „als nicht erfolgt“ gelten. Beide Gesetze verlangen jedoch eine Entscheidung durch das zuständige Gericht, ob im Einzelfall die Verurteilung tatsächlich als nicht erfolgt gilt. Erst diese gerichtliche Entscheidung bewirkt die juristische Rehabilitierung des Verurteilten. Diese erfolgt entweder über Antrag oder „von Amts wegen“. Im Zusammenhang mit der Intention des Gesetzgebers, nämlich der Rehabilitierung der unschuldigen Opfer, ist von einer Verpflichtung zur amtswegigen Aufhebung auszugehen. Wann immer daher Justiz­behörden von einer unter die beiden genannten Gesetze fallenden Verurteilung Kenntnis erlangen, sind sie verpflichtet, von Amts wegen einen Gerichtsbeschluss im konkreten Fall herbeizuführen. Soweit ersichtlich ist dies aber bisher in keinem einzi­gen Fall geschehen. Gerichtsbeschlüsse zur Rehabilitierung erfolgten – erstmals im Jahre 1998 (!) – bisher nur in neun Fällen von ermordeten österreichischen Zeugen Je­hovas, jeweils über einen Antrag von Einzelpersonen bzw. der staatlich eingetragenen Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen.

Die Befreiungsamnestie 1946 deckt das ganze Feld der notwendigen Rehabilitierungen also ebenso wenig ab wie das Aufhebungsgesetz 1945. Das Verhältnis beider Gesetze zueinander ist verwirrend und teilweise widersprüchlich. Das Aufhebungsgesetz 1945 mit ergänzender Verordnung, StGBl 155/1945, verlangt zusätzlich zur Aburteilung nach bestimmten NS-Gesetzen, dass die Handlung „gegen die nationalsozialistische Herr-


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