Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 110. Sitzung / Seite 133

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um eine „Antwort“ in dieser Form zu geben, wie Sie das tun, nämlich mit einem ein­fachen und schlichten Verweis auf die Geschäftsordnung des Nationalrates. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Damit, meine Damen und Herren, bin ich auch schon voll im Kern des Gegenstands der heutigen Dringlichen Anfrage der grünen Fraktion angelangt: bei der Auseinander­setzung mit der Geschichte, bei deren Aufarbeitung, bei dem, was in dieser Republik in den letzten Jahrzehnten seit 1945 – und wir sind ja erst vor wenigen Tagen im Redoutensaal gewesen und haben dort gemeinsam feierlich die Zweite Republik, das Wiederauferstehen des demokratischen Österreich gefeiert – verabsäumt worden ist, bei der Frage, welche offenen Bereiche es gibt. Und es stellt sich schon die Frage, wie der Nationalrat selbst und die Abgeordneten des Nationalrates auch einen Diskus­sionsbeitrag, einen Debattenbeitrag, Herr Präsident, jenseits von feierlichen Proklama­tionen zu leisten haben.

Ich möchte hier nicht sagen: Herr Bundeskanzler, fahren Sie nicht ins Burgenland und reden Sie dort nicht feierlich vor den burgenländischen Landtagsabgeordneten! Ich habe nichts dagegen. Nur kann ich Ihnen versichern, dass der Herr Bundeskanzler bei einer feierlichen Gedenkveranstaltung ganz sicher nicht mit kritischen Fragen zur Ver­gangenheitsaufarbeitung konfrontiert werden wird, denn Feiern haben es in sich, dass es keinen Widerspruch gibt, dass man eine Rede hält und dann geht.

Dringliche Anfragen und Diskussionen im Plenum des Nationalrats bieten die Möglich­keit, Argumente auszutauschen und auch die unterschiedlichen Standpunkte, die die einzelnen Fraktionen haben, herauszuarbeiten. (Beifall bei den Grünen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich heute am 13. Mai des Jubi­läumsgedenkjahres zwei offenen Bereichen dieser 60-jährigen Auseinandersetzung widmen. (Ruf bei der ÖVP: Heute ist der 12. Mai!) Entschuldigung! 12. Mai. Morgen sind es noch zwei Tage bis zum 15. Mai, bis „50 Jahre Staatsvertrag“. – Wie gesagt, ich widme mich heute zwei offenen Bereichen.

Der erste Punkt ist das Beispiel des Umgangs mit Deserteuren und Opfern der NS-Mili­tärjustiz in Österreich nach 1945, und der zweite Punkt ist die Frage des Umgangs mit Artikel 7 des Staatsvertrages von Wien, dessen wir am Sonntag – wir alle gemeinsam, sozusagen Österreich – sehr feierlich gedenken werden.

Ich halte es für ein Gebot der Stunde, jene Punkte – ich will es nicht „schwarze Fle­cken“ nennen, sondern unaufgearbeitete Dinge –, wo es noch nichts dazu gibt, wo bisher die politische Verantwortung versagt hat, wo sie nicht wahrgenommen wurde, aufzuarbeiten. Das ist Gegenstand meiner Sorge in diesem Jubiläumsjahr, in diesem Gedankenjahr 2005. (Beifall bei den Grünen.)

Sie, meine Damen und Herren, wissen ja – soweit kennen Sie mich –, dass sowohl das Thema „Deserteure“ als auch die Einhaltung des Artikels 7 des Staatsvertrages von Wien mir wirklich ein persönliches Anliegen sind – in der einen Sache, weil ich mich seit Jahren als Parlamentarierin dafür einsetze – ich werde noch darauf zurückkom­men –, und in der anderen Sache, weil ich eine unmittelbar Betroffene des Minderhei­tenschutzes durch Artikel 7 des Staatsvertrages von Wien bin beziehungsweise der Auswirkungen des in Österreich nicht gebotenen Minderheitenschutzes im Sinne des Artikels 7 des Staatsvertrages von Wien.

Kommen wir zum Thema Deserteure.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deserteure und andere Opfer der NS-Militär­justiz, Kriegsdienstverweigerer – Beispiel: Franz Jägerstätter –, so genannte Selbstver­stümmeler, so genannte Wehrkraftzersetzer, Saboteure, Meuterer und angebliche Hochverräter und Landesverräter: Das ist die Gruppe jener, die in den Kreis der Opfer


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