Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 110. Sitzung / Seite 147

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schrieb er. Wer nicht gestorben ist, dem bleibt auch Jahrzehnte nach dem Ende Hit­lers, nach dem Ende der Nazi-Diktatur immer noch die Opferrolle versagt. Hans Rau­scher brachte es zu Beginn dieses Jahres in einem Kommentar auf den Punkt, als er schrieb: Jeder Soldat, der sich dem mörderischen Vernichtungskrieg des „Dritten Rei­ches“ durch Fahnenflucht entzog, sei es, weil er einfach überleben wollte – die große Mehrheit –, sei es, weil er zum Widerstand gehörte, hat eine achtenswerte Tat gesetzt.

Das soll nicht die Millionen abwerten, die einfach dabeigeblieben sind, weil sie es für ihre Pflicht hielten oder weil sie einen so radikalen und lebensgefährlichen Schritt nicht wagen wollten. Aber die Missachtung, ja der Hass, der den Deserteuren lange entge­gengebracht wurde, war immer falsch! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Beim Symposion „Widerstand in Österreich“ hier im Parlament forderte uns Bundes­präsident Dr. Heinz Fischer auf, nach den Menschen zu forschen, die ihren Glauben an andere Werte unter Gefahr ihres Lebens aufrechterhalten und oft auch mit ihrem Leben und dem ihrer Angehörigen bezahlt haben. Fischer hielt die Forderung für berechtigt, trotz der so genannten Befreiungsamnestie von 1946 alle Urteile der Wehr­machtsjustiz und vergleichbarer Sondergerichte wegen Desertion, Wehrdienstverwei­gerung, Fahnenflucht und Hochverrat durch einen demonstrativen Akt des Gesetz­gebers aufzuheben. – Meine Damen und Herren, wir sind der Gesetzgeber, der diesen Akt zu setzen hat!

Der Standpunkt des Bundesministeriums für Justiz und der Bundesministerin zu dieser Frage – und der heute größtenteils auch von Ihnen, Herr Staatssekretär, eingenommen wurde –, nämlich dass eine Rehabilitierung aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen gar nicht mehr notwendig ist, da sie bereits im Jahre 1946 erfolgt sei, ist meines Erach­tens inhaltlich nicht haltbar, den noch lebenden Opfern nicht zumutbar und politisch nach den Äußerungen der beiden Bundesräte aus dem freiheitlichen Parteienspektrum nicht einmal mehr vertretbar. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Der Entschließungsantrag des Nationalrates aus dem Jahre 1999 spricht von einer Rehabilitierung, die bisher nicht erfolgt ist. Das unmittelbar nach dem Krieg beschlos­sene Gesetz mag ein ehrenhafter Gerechtigkeitsversuch gewesen sein, aber – wie Dr. Kohlhofer feststellte – eine Rehabilitierung war es nicht, denn Rehabilitierung ist die offizielle, öffentliche und individuelle Wiederherstellung der Rechte und auch der per­sönlichen Ehre der Opfer.

Im Übrigen wäre die Frau Justizministerin, wenn Sie bei Ihrer Haltung bleibt, zu fragen, warum sie denn dann – so wie auch ihre Vorgänger, und dazu zählen auch die meiner Fraktion – seit dem Jahre 1946 nicht tätig wurde und ihrer Verpflichtung zur amts­wegigen Aufhebung nicht nachgekommen ist. (Abg. Dr. Fekter: Böhmdorfer ist tätig geworden! Er hat einen ...!)

Meine Damen und Herren! Es ist höchste Zeit für einen Vier-Parteien-Antrag in dieser Sache. Wenn eine dieser vier Parteien – eigentlich müsste man jetzt sagen: vier Klubs; Parteien sind es ja wahrscheinlich mehr –, wenn einer dieser Klubs aus welchen Grün­den auch immer nicht wollte, dann ist die Sache zu ernst, als dass darauf Rücksicht genommen werden könnte. (Abg. Scheibner: Von was reden Sie überhaupt, Herr Kollege?)

Wenn die kleinere Regierungsfraktion nicht will, dann darf sich die größere Regie­rungsfraktion meiner Ansicht nach auch nicht mehr mit Rücksicht auf die Koalition so einem Antrag entziehen – in diesem Moment der Geschichte Österreichs, nach den Äußerungen dieser zwei Bundesräte. Bedauerlicherweise haben beide noch ihr Man­dat. Der eine hat eine Zurücklegung gar nicht angekündigt, der andere hat es ange­kündigt, wird sein Mandat aber erst am 2. Juni im Zuge einer Rochade, wie ich höre, zurücklegen. (Abg. Dipl.-Ing. Scheuch: Glauben Sie nicht alles, was Sie hören, Herr


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