Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 110. Sitzung / Seite 149

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

unter Umständen auch 1938 am Heldenplatz gestanden sind, und jenen, die heute – 60 Jahre nach Kriegsende – noch immer nicht gelernt haben, was Demokratie und demokratische Gesinnung ist. Dieser Unterschied ist wichtig, dieser Unterschied ist entscheidend, und dieser Unterschied sollte auch der Grundkonsens für alle politischen Handlungen des österreichischen Parlaments heute und in Zukunft sein. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Es geht aber auch nicht an, dass man Handlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, einfach negiert; dass man zum Beispiel einfach negiert, dass das Sozialministerium in den letzten fünf Jahren – davon habe ich viereinhalb Jahre die Ehre gehabt, das Sozialministerium zu führen – keinen einzigen Fall, der an uns herangetragen worden ist und der für eine Berücksichtigung gemäß dem Opferfürsorgegesetz in Frage gekommen ist, abgelehnt hätte.

Das ist eine grundsätzlich andere Haltung als die, die Amtsvorgänger – etwa der Sozi­aldemokratie in der Zeit vor der Regierung Schüssel I – an den Tag gelegt haben.

Ich glaube daher, dass es sehr wohl auch ansteht, in dieser Situation und in dieser Dis­kussion nicht zu verschweigen, dass die Gesetze, die 1945, 1946 und 1947 vom ersten frei gewählten, demokratischen österreichischen Parlament der Zweiten Republik beziehungsweise vom provisorischen Parlament beschlossen worden sind, richtungs­weisend für die Erledigung der Problematik waren, mit der wir heute beschäftigt sind.

Als Österreicher kann man auch nicht übersehen, dass Österreich bereits zu einem Zeitpunkt begonnen hat, die dunklen Stunden unserer Vergangenheit und die Verbre­chen des Nationalsozialismus aufzuarbeiten, als man in der Bundesrepublik Deutsch­land dazu nicht bereit war, und dass auch die Anzahl der in Österreich durch die Volksgerichte Verurteilten in der Relation zur Bevölkerung bedeutend gewichtiger ist als die der Verurteilungen, zu denen es in der Bundesrepublik Deutschland aus dem gleichen Grund gekommen ist.

Es ist auch nicht zu übersehen, dass sehr viele, die in der damaligen Zeit Spitzenfunk­tionen – auch in den Tötungsmaschinerien der Nazis – innegehabt haben, durch demo­kratische Parteien – und die Sozialdemokratie hat das ja für ihre Partei erst jüngst aufgearbeitet – Schutz bekommen haben.

Für mich als Jugendminister waren und sind die Ereignisse am Spiegelgrund eine Tra­gödie besonderer Art. Für mich ist und war es auch immer eine besondere Tragödie, weil ich als kleines Kind, als mein Vater im Landesnervenkrankenhaus Hall war, noch bewusst erleben durfte, wie die damalige Bevölkerung behinderten Kindern noch immer unter dem Eindruck der Indoktrinierung des Dritten Reiches gegenübergestan­den ist. Es war gut, dass alle, die damals verstorben sind, obduziert werden mussten, um Übergriffe – versteckte und nicht versteckte – aufzuklären und ahnden zu können.

Unsere Demokratie ist einen langen Weg gegangen. Auf diesem langen Weg haben wir schmerzliche Auseinandersetzungen in den Familien, zwischen den Familien, zwi­schen den Generationen und innerhalb der Generationen mitmachen müssen.

Ich bin aber zutiefst davon überzeugt, dass das Handlungspaket, das heute hier von Seiten der beiden Regierungsparteien auf den Tisch gelegt wird, ein gutes Paket ist, das wir dann bestmöglich als Vier-Parteien-Einigung umsetzen können und wollen.

Ich bin aber auch der Meinung, dass nicht ausschließlich die Fragen der Vergangen­heit auch die Fragen der Zukunft dieses Staates sein können, denn auch die ältere Ge­neration hat ein Anrecht darauf, dass es als Fortschritt anerkannt wird, wenn sie sich zu Demokraten gewandelt hat, und dass nicht immer nur die Anfänge ihrer Existenz in den Vordergrund gestellt werden, sondern dass auch ihre demokratische Weiterent-


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite