Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 110. Sitzung / Seite 154

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Kärnten. Man sollte klar sagen: Es ist natürlich in höchstem Maße wünschenswert, die Rechtsunterworfenen oder die Beteiligten, im Fall Kärnten alle Beteiligten, an einen Tisch zu bekommen, um eine Lösung zustande zu bringen. Das bestreiten wir nicht. Wir müssen aber auch sehen, dass wir Recht nicht ausschließlich davon abhängig machen können, ob diejenigen, die es nicht wollen, vielleicht doch bereit sind, es zu akzeptieren. Es gibt dann irgendwann einmal einen Punkt, an dem man beginnt, den Rechtsstaat als solchen in Frage zu stellen, und dieser Punkt ist nahe. Daher sollten wir hier zu einer Lösung kommen. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Lassen Sie mich, meine sehr geehrten Damen und Herren, Bezug nehmen auf das, was wir gestern hier in diesem Hohen Haus beschlossen haben. Wir haben gestern die EU-Verfassung nahezu einstimmig ratifiziert, und diese Verfassung – und das ist von allen Rednern, die zum Inhalt der Verfassung gesprochen haben, zum Ausdruck gebracht worden – zeichnet sich dadurch aus, dass sie sehr, sehr stark auf Werten basiert, auf Werten, die uns in Europa über die Staatsgrenzen hinweg gemeinsam sind. Es sind Werte wie Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Wahrung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte von Per­sonen, die Minderheiten angehören.

Warum, meine sehr geehrten Damen und Herren, spreche ich das an? – Weil wir dar­auf achten müssen, konsistent zu bleiben in dem, was wir in diesem Hohen Hause tun und beschließen. Wir können uns nicht an einem Tag vollmundig zu den Werten, auf denen Europa basiert, bekennen und am nächsten Tag da Zweifel zulassen.

Ich möchte Ihnen ein hypothetisches Beispiel vorführen. Die Frage ist: Wie würden wir das Handeln von Menschen beurteilen, die diesen Werten verbunden sind und ge­zwungen werden, in eine Armee einzutreten, die andere Länder überfällt und ver­wüstet? Wie würden wir das Verhalten von Menschen beurteilen wollen, was würden wir uns wünschen, wie diese Menschen handeln, wenn die Armee, in die sie gegen ihren Willen eingezogen werden, zwangsweise eingezogen werden wie alle, wenn diese Armee die Menschenrechte mit Füßen tritt? Und wie würden wir wollen, dass Menschen sich verhalten, wenn diese Armee nicht ihre eigene Armee ist, sondern es außerdem noch eine Okkupationsarmee ist, die Armee eines Landes, die das eigene Land besetzt hat und in die dann – in dem Fall Österreicher – eingezogen und zum Militärdienst gezwungen sind, wie würden wir wollen, dass die sich verhalten? – Natür­lich ist die spannendere Frage die, wie wir uns vorstellen, dass eine Diktatur von An­fang an vermieden und verhindert wird. Überhaupt gar keine Frage! Aber was ist, wenn der Punkt erreicht ist? Was ist dann? Sind wir dann der Meinung, diese Menschen, die in diese Armee eingezogen werden, sollen die Zähne zusammenbeißen und ihren Dienst ableisten – egal, was sie sehen, egal, welche Rechtsbrüche sie im Namen eines diktatorischen und verbrecherischen Regimes mit begehen müssen? Oder sind Sie bereit anzuerkennen, dass es notwenig sein kann, hier anders zu handeln?

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass es heute offenbar auch von den Regierungsparteien eine Initiative in die richtige Richtung gibt. Ich möchte das gar nicht verschweigen. Ich denke jedoch, wir sollten nicht nur in Bezug auf die Ver­gangenheit agieren und überlegen, sondern es muss uns klar sein – da hat Kollegin Moser vollkommen Recht gehabt –, dass wir eindeutige Signale senden müssen. Wir dürfen nicht nur an Tagen wie gestern von den Werten, auf denen Europa beruht, reden, sondern es muss uns auch klar sein, dass wir den Maßstab, den wir gestern angelegt haben, auch heute gültig sein lassen wollen. Und das heißt, dass wir denen, die diesem Maßstab entsprechend gehandelt haben, auch deutlich machen müssen, dass sie zu den Opfern zählen und nicht zu den Tätern, und daher müssen wir ihnen auch etwa im Rahmen der Anerkennung im Rahmen des Opferfürsorgegesetzes den


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