Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 112. Sitzung / Seite 32

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mitgemacht, die soziale Dimension des Verfassungsentwurfs auf dem Weg vom Euro­päischen Konvent hin zum endgültigen Entwurf noch zu verwässern. Ich sage nur ein Beispiel: die so genannte Vollbeschäftigung als Ziel der Europäischen Union. Dieses Ziel hat es ursprünglich gegeben, aber das wurde gestrichen. Und daran waren unsere Vertretungen in Brüssel maßgeblich beteiligt.

Ein zweites Beispiel: die Steuerharmonisierung. Steuerharmonisierung ist in der Euro­päischen Union sehr, sehr wichtig, um dieses Dumping zwischen den Staaten, diesen beinharten Wettbewerb, den es in Europa nicht mehr geben sollte, zu lindern und mittelfristig auch abzustellen. Ich sage nur ein Stichwort: Körperschaftsteuer­senkung in der Slowakei, wo Österreich dann sofort nachziehen musste. Diesem ruinösen Standortwettbewerb muss die Europäische Union begegnen! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Der ursprüngliche Entwurf sah ein Mehrstimmigkeitsprinzip vor, damit nicht einzelne Länder weiter ein Veto gegen eine Steuerharmonisierung einlegen können. Auch Österreich war mit dabei, das wieder zu streichen. Und das, Herr Bundeskanzler, müssen Sie sich schon als Vorwurf gefallen lassen: Sie waren auch Vorreiter von neoliberaler Politik in der Europäischen Union mit Ihren Entscheidungen, auch mit nationalen Entscheidungen. Schauen Sie sich nur die letzte Steuerreform an mit den Steuervorteilen für multinationale Konzerne, Gewinnmöglichkeiten, Verlustabschreibe­möglichkeiten im Ausland vom österreichischen Steuerzahler abgelten zu können. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Selbstverständlich, die Europäische Union ist noch unvollständig. Wenn man sich das als ein Haus vorstellt, das noch nicht ganz fertig gebaut ist, teilweise schon renovie­rungsbedürftig ist, und in diesem Haus sitzen 25 Mieterparteien, und jeder hat besonderes Interesse nur für seine eigene Wohnung, dann kann man sich vorstellen, wie schwierig es ist, einen gemeinsamen Sanierungsplan oder Weiterentwicklungs­bauplan für dieses Haus zu erstellen. Und genau das ist das Problem.

Es gibt Defizite, aber man darf sie nicht aus der nationalen Perspektive sehen, sondern muss sie aus der gemeinsamen Perspektive sehen. Wenn man das Nettozahler­sys­tem reformieren will, dann darf man das nicht unter dem Aspekt machen: Wir jedenfalls weniger!, sondern ausschließlich unter dem Aspekt: Die Stärkeren helfen den Schwächeren, nämlich im Sinne einer gemeinsamen positiven Weiterentwicklung. (Beifall bei den Grünen.)

Die Demokratie ist nach wie vor unvollständig. Es gibt nach wie vor sehr wenig Transparenz. Es gibt nach wie vor den Euratom-Vertrag, allerdings wäre er nur mehr ein Anhängsel gewesen und nicht in den Gründungsverträgen per se verankert. Die Europäische Union ist nach wie vor noch keine Sozialunion. Und vom nachhaltigen Wirtschaften sind wir auch noch relativ weit entfernt. Aber ich kenne keinen anderen Teil der Welt – und man kann in alle Himmelsrichtungen blicken, man kann in die USA schauen, man kann nach Westen, man kann nach Osten schauen –, es gibt sonst keine Staaten, keine Staatengemeinschaft, die sich verantwortlich dafür fühlt, eine gerechtere Weltordnung herzustellen, ob das nachhaltiges Wirtschaften ist, Umwelt­schutz, Friedensorientierung, soziale Gerechtigkeit. Das ist die Aufgabe der Euro­päischen Union, und es ist auch unsere Aufgabe, dafür einzutreten. Und dafür braucht es nicht weniger Europa, sondern definitiv mehr Europa, viel mehr Europa! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Es gibt positive Beispiele, die wir schon geschafft haben als europäische Politiker und Politikerinnen, nämlich vor allem die Friedensorientierung. 60 Jahre Frieden in Europa ist eine Leistung, aber es ist noch sehr, sehr viel zu tun, und dafür brauchen wir eine Verfassung.

 


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