Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 112. Sitzung / Seite 53

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Sie haben der österreichischen Bevölkerung 40 Prozent der Liegenschaften ver­sprochen, Sie haben gestern 20 Prozent – wertmäßig – der Liegenschaften der Öffent­lichkeit präsentiert. Sie haben die Hälfte Ihres Versprechens eingelöst, Sie sind die Hälfte Ihres Versprechens schuldig geblieben.

Und Sie haben etwas gemacht, was vielleicht taktisch verständlich ist, was ich aber politisch nicht verstehe: Sie haben in einzelnen, nicht unwichtigen Fällen einem absurden Kasernenpopulismus nachgegeben. Sie wissen, dass die Kasernen in Ober­österreich, in Niederösterreich, in Salzburg und in der Steiermark, bei denen Sie nachgegeben haben, in drei, vier Jahren geschlossen werden müssen, weil es dann diese Einheiten nicht mehr geben wird. Sie könnten ja heute fairerweise den Menschen dort sagen: Ja, die Waldviertler Kasernen werden in drei Jahren zugesperrt. Ja, Tamsweg muss in drei Jahren zugesperrt werden. Aigen in der Obersteiermark wird wahrscheinlich schon früher zugesperrt werden, weil wir es uns nicht leisten können und weil es die Einheiten nicht mehr gibt. (Abg. Murauer: Haben Sie schon wieder eine Liste, Herr Pilz?)

Da bilden Sie mit der Spitze der SPÖ eine Einheitsfront zur Wahrung leer stehender Kasernen und sagen den Menschen: Es gibt nichts Wichtigeres für die Zukunft benach­teiligter Regionen als leer stehende Kasernen. (Abg. Mag. Molterer: Herr Pilz! Sagen Sie, welche Sie zusperren wollen!) Und dann kämpft die SPÖ darüber hinaus für die gänzliche Erhaltung der mächtigen österreichischen Militärmusik. Dann entnehme ich den Debatten der letzten Tage eine Haltung der SPÖ-neu für die Militärmusik und gegen den Euro und frage mich langsam: Was ist aus der Politik dieser Partei gewor­den? Ist eine Militärmusik-Kapelle wirklich wichtiger als ein klares Bekenntnis zur Europäischen Union in einer schweren Krisensituation? (Abg. Dipl.-Ing. Scheuch: Für Gusenbauer schon!) Ist es wirklich wichtiger, leer stehende Kasernen zu verteidigen, als zu sagen, dass die europäische Friedenspolitik auch mit dem Gelingen der Bun­desheerreform an einem Scheideweg steht? Ist es nicht wichtig, von der Bundes­heerreform bis zu einem zweiten Anlauf zu mehr europäischer Demokratie alles zu unternehmen, um bei dem Konsens, den wir in diesem Hause bereits hatten, zu bleiben?

Ja, es ist richtig: Die französische Bevölkerung zwingt uns, einige Fragen in Europa vollkommen neu zu bewerten. Frankreich hat die soziale Frage auf die Tagesordnung der Union gesetzt, und Frankreich hat auch einige wichtige friedenspolitische Fragen nicht nur für Brüssel, sondern für alle beteiligten Staaten gestellt. – Weil es diese Fragen zu beantworten gilt, haben wir uns entschlossen, eine gemeinsame Heeres­reform zur Europäisierung der Friedensstrukturen durchzuführen. Vier Parteien haben beschlossen, die klassische Landesverteidigung aufzugeben und sich an einem euro­päischen Friedensprojekt zu beteiligen – und plötzlich landet das bei der Verteidigung leer stehender Kasernen und bei der Verteidigung jeder Tschinelle und jeder Tuba. Da hat sich Österreich Besseres verdient, und da hat sich Europa Besseres verdient!

Ich plädiere dafür: Stellen wir den Konsens der Bundesheerreformkommission, der zumindest ein Drei-, wahrscheinlich Dreieinhalb-Parteien-Konsens war, über die großen Ziele der österreichischen Friedenspolitik wieder her! Orientieren wir uns wie­der an Europa, und hören wir endlich mit diesem kleinkarierten Kasernen- und Tschi­nellenpopulismus auf!

Es reicht, meine Damen und Herren! Mit jedem populistischen Akt dieser Art zwingen Sie die Menschen, die Ihnen zuhören, sich nicht nur von Europa, sondern auch von Ihrer Politik abzuwenden. Und wenn wenigstens das der Preis ist, den Sie nicht zahlen wollen, dann wäre das doch eine Möglichkeit, umzudenken, friedenspolitisch zu den-


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