Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 115. Sitzung / Seite 45

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Da ist ein Innehalten, glaube ich, durchaus angebracht, denn jetzt kommt ja noch die große Aufgabe und das große Fragezeichen Türkei dazu – Beitritt oder nicht Beitritt, Verhandlungsbeginn. All diese Dinge zusammen scheinen die europäische Bevölke­rung zu überfordern und einen Gegenwind der öffentlichen Meinung zu dem so wichti­gen Thema Europa und der Zukunft Europas auszulösen.

Gerade beim Thema Türkei zeigt sich, wie richtig eigentlich die österreichische Linie war. Wir haben von Anfang an, noch im Dezember, als die Entscheidung für den Ver­handlungsbeginn gefallen ist, immer darauf gedrängt, dass wir Alternativen brauchen, dass es nicht nur eine Automatik in Richtung Vollbeitritt, Artikel 57, geben kann, son­dern dass auch andere Optionen ernsthaft geprüft und von uns auch prioritär in Über­legung gezogen werden sollen. (Zwischenruf der Abg. Dr. Gabriela Moser.)

Wir haben immer darauf bestanden, dass es offene Verhandlungen sein müssen mit einem offenen Ziel, dass gleichzeitig die harten Bedingungen – gemeinsame Werte, wie sie in den Kopenhagener Kriterien festgelegt sind – erfüllt werden müssen und erfüllt sein müssen, dass aber genauso auch die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union selbst eines der entscheidensten Aufnahmekriterien für ein neues Land von einer Größe wie die Türkei sein muss. Und wir haben Recht behalten. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wir haben hier auf einer maßgeschneiderten Lösung bestanden. Interessant ist ja schon, dass es damals 1 : 24 gestanden ist, heute aber immer mehr Länder und natür­lich die Mehrheit der europäischen Bevölkerung auf diese Linie einschwenkt, weil sie vernünftig ist.

Danke, dass die SPÖ diese Position unterstützt, wie ich heute gehört habe. Ich finde es positiv, dass wir hier einen gemeinsamen Konsens fast aller politischen Parteien feststellen können.

Aber auch das bedeutet natürlich, dass wir Verhandlungen beginnen sollen, denn eines ist klar: Es ist in unserem Interesse, wenn sich die Türkei selbst Maßstäbe zugrunde legt, die in Richtung Bewahrung und Erhöhung der Menschenrechtsstan­dards abzielen, wenn dort Good Governance, rechtsstaatliche Sicherheit, Aufbau der Institutionen im europäischen Sinn stattfindet. Das ist gut für die Türkei selbst – sie machen es ja nicht uns zuliebe –, es ist aber auch gut für uns, weil damit der Raum der Sicherheit, der Freiheit und der Menschenrechte deutlich erweitert wird, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Warum hat Europa derzeit vor allem in der öffentlichen Meinung so große Resonanz­schwierigkeiten? – Da hat einer, den ich sehr schätze, Andrei Pleşu – er war Außen­minister Rumäniens, als ich Außenminister Österreichs war; vor zwei Jahren war er übrigens der Festredner bei den Salzburger Festspielen –, einen beachtlichen Artikel geschrieben, aus seiner Erfahrung als Rumäne, als einer, der den Kommunismus er­lebt hat und die Schrecken einer Ideologie, einer sich verselbständigenden Ideologie erkannt hat – ich glaube, in der „FAZ“ oder in der „Süddeutschen“ war es –:

„Seit geraumer Zeit gaben wir uns damit zufrieden, stille und gelassene Zeugen einer gefährlichen Entwicklung zu sein. ... Europa ist zur Ideologie geworden. Wir, hier im Osten, erinnern uns noch allzu genau daran, welch verheerende Auswirkungen die Verwandlung eines Gedankens, einer Überzeugung in eine Ideologie, ..., in ein ... Schema, in eine fixe Idee haben kann. Ideologie ist eine Form der Bürokratisierung des Denkens.“

Und weiters: „... die Reglementierung des Optimismus, ..., die Oberherrschaft von Ad­ministration und Buchhaltung können einfach kein überzeugendes Porträt Europas gestalten – weder für die Mitglieder noch für die Anwärter. Europa, beziehungsweise


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