Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 115. Sitzung / Seite 46

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die Europäische Union, muss sich beeilen und seine organische Frische, seine Natür­lichkeit und seine menschliche Dimension wiederfinden. Ansonsten läuft sie Gefahr, unter einem Berg von Dossiers zu ersticken.“

Ich zitiere weiter: „... hat die Europäische Union einfach vergessen, auch sympathisch zu bleiben: Sie ist nahezu die ganze Zeit über nur strafende Instanz, ein Hürdenlauf.“ In einer Situation, „in der sie ständig kontrolliert, verwarnt, eingrenzt und nörgelnd schulmeistert, hat sich die EU das Image einer piesackenden Schwiegermutter, eines sauren Pädagogen erworben“.

„Es fällt sehr leicht, ,Nein‘ zu einer Organisation zu sagen, die ihrerseits selber von morgens bis abends ,Nein‘ sagt. Man ist es einfach leid, sich dieser dauernden Kastra­tion anzupassen.“

Ich habe dieses Zitat deswegen gebracht, weil es doch zum Nachdenken anregen soll. Ich teile nicht in allem diese Analyse, aber es ist wichtig, dass wir eine offene und ehr­liche Debatte ohne Tabus führen, denn die Idee, die Vision, der Traum eines vereinig­ten Europas ist so wichtig, dass wir sorgsam und aufmerksam hinhören müssen, wenn solch intellektuelle und überzeugte Europäer ein solches Votum formulieren. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich denke daher, dass das Nein der Franzosen und der Holländer, das ja ein ganz kla­res gewesen ist – das war kein knappes Ergebnis –, auch andere Gründe hat, die nicht nur mit dem Text oder mit einzelnen Artikeln der Europäischen Verfassung oder des Vertrages zusammenhängen. Da haben sicher auch andere, tiefer liegende Gründe eine große Rolle gespielt. Und eines der wichtigsten Themen ist natürlich die Sorge vieler Menschen um den Arbeitsplatz, die Sorge um den europäischen Standort.

Es stimmt natürlich – auch das sei gesagt –, dass Europa in den letzten zehn Jahren immerhin 10 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen und 3 Millionen Arbeitslose abgebaut hat. Die Zahl der Arbeitslosen hat sich um 3 Millionen verringert. Aber es ist genauso wahr – und das gehört ehrlich ausgesprochen –, dass ein Sozialraum, ein Wirtschaftsraum, ein europäischer Standort, der immer noch 20 Millionen Arbeitslose hat, Fragen aufwirft. Es ist daher ganz wichtig, dass wir uns dieses Themas annehmen und sehen, dass die Sorge der Menschen vor dem immer härter werdenden internatio­nalen Wettbewerb, vor der Globalisierung, vor dem Standortdruck natürlich richtig ist, und dass wir auch Fragezeichen hinsichtlich einer immer weiter schreitenden Liberali­sierung innerhalb der WTO – das war auch so ein Mantra und ein Dogma – setzen müssen.

Es ist meiner Meinung nach ein gefährlicher Trend, wenn wir darauf falsch reagieren, etwa mit dem Ruf „Zugbrücke hoch!“, „die Festung Europa schließen!“ oder „Stopptaste drücken“. Meine Damen und Herren! Weder mit der hochgezogenen Zugbrücke noch mit der Stopptaste werden Sie diese Sorgen und Ängste der Menschen ausreichend entkräften können, sondern nur mit aktivem Handeln, mit Zupacken, mit Ernstnehmen und mit praktischen, konkreten politischen Ergebnissen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Österreich hat einen großen Anteil von internationalen Ver­netzungen: Jeder zweite Arbeitsplatz hängt im Wesentlichen vom Handel, vom Export mit Gütern und Dienstleistungen ab, jeder zweite Euro, den wir verdienen, kommt letzt­lich aus der höchst erfolgreichen Standortwettbewerbssituation, die Österreich in den letzten Jahren aufgebaut hat.

Ich selbst habe als Wirtschaftsminister zu einem Zeitpunkt begonnen, als dieser Anteil bei 25 Prozent lag; heute liegt er bei 52 Prozent. Daher ist meiner Meinung nach der Ruf „Zugbrücke hoch!“, „Stopptaste drücken!“, „Kehrtwendung!“ grundfalsch. Wir müs-


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