Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 115. Sitzung / Seite 50

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rung und auch im Bewusstsein all derjenigen, die Politik machen, denn ich stelle mir vor, dass wir über europäische Politik genauso demokratisch und kontroversiell disku­tieren können wie über die Innenpolitik. Dann ist das europäische Projekt reif gewor­den.

Ich halte es für völlig verfehlt, bei jeder Gelegenheit, bei jeder Meinungsverschieden­heit über Europa sofort das Gesamtprojekt in Frage zu stellen, denn ich glaube, damit kann man auch die Zustimmung nicht gewinnen.

Herr Bundeskanzler, ich gebe Ihnen Recht: Europa ist ein Erfolgsprojekt. Europa ist auch sehr erfolgsverwöhnt: durch die Sicherung des Friedens über mehrere Jahr­zehnte, durch die gelungene Einführung des Euro und durch die Erweiterung, die im vergangenen Jahr stattgefunden hat. Jawohl, Europa ist eine Erfolgsgeschichte und erfolgsverwöhnt.

Ich glaube aber, es ist wirklich falsch, dass man, wenn viele Bürgerinnen und Bürger in Europa ihre Besorgnis und ihre Unzufriedenheit mit der anhaltenden Arbeitslosigkeit äußern, wenn sie Sorgen haben über das Tempo verschiedener europäischer Projekte, das immer in einen Zusammenhang mit der fundamentalen Frage Europas bringt. Ich glaube, das ist der falsche Weg.

Viel richtiger wäre, zu sagen: Wir stellen den europapolitischen Grundkonsens außer Streit, aber wir sind streitbar und diskussionsfähig, was die Entwicklung der europäi­schen Politik betrifft, denn diese muss genauso demokratisch diskutiert werden wie die österreichische Innenpolitik. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! So zu tun, als ob man so weitermachen könnte wie bisher, das wird, glaube ich, nicht funktionieren. Man hat ja gerade bei die­sen Referenden gesehen, dass auch gewisse Festlegungen, die die Staats- und Re­gierungschefs getroffen haben, einfach danebengegangen sind. Die Idee des Fle­ckerlteppichs, nämlich in einzelnen Ländern eine Abstimmung zu machen und in ande­ren Ratifikationen im nationalen Parlament, war schlicht und einfach eine schlechte; das hat sich in der Zwischenzeit herausgestellt.

Wenn man mit Recht sagt, dass bei diesen Volksabstimmungen nicht nur der Unmut der Bevölkerung über negative Folgen der Globalisierung zur Debatte gestanden ist, nicht nur die Frage des Tempos verschiedener europäischer Projekte, sondern natür­lich auch abgestimmt wurde über die nationale Befindlichkeit und darüber, wie zufrie­den oder unzufrieden eine Bevölkerung gerade mit ihrer Regierung ist, dann muss man sagen: Die Durchführung solcher nationaler Volksabstimmungen war ja nachgerade eine Einladung, diese Verfassungsreferenden tief in die Innenpolitik dieser Staaten hineinzuziehen.

Wenn man sagt, es handelt sich um eine europäische Verfassung oder um einen euro­päischen Verfassungsvertrag, wäre der einzig richtige Weg gewesen, das aus der Innenpolitik herauszuheben, auf eine europäische Ebene zu bringen und eine europäi­sche Volksabstimmung darüber durchzuführen. Das wäre bedeutend klüger gewesen als dieser Fleckerlteppich von Abstimmungen, den wir gehabt haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich weiß, dass wir hier im österreichischen Parlament dazu keine unterschiedlichen Auffassungen haben, das ist mir bewusst, aber man darf, wenn man dieses Beispiel nimmt, nicht übersehen, dass auch in einer Reihe von anderen Fragen das, was die Staats- und Regierungschefs beschließen, nicht immer der Weisheit letzter Schluss sein muss.

Einige Bemerkungen im Nachhang an diese Referenden haben mich gestört, etwa wenn gesagt wurde, wir müssen Europa besser erklären. Was schwingt da mit? – Da


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