Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 115. Sitzung / Seite 68

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so etwas wie eine neoliberale Ausrichtung in der Europäischen Union gibt, und gesagt, dass wir dafür plädieren, dass es da eine Umorientierung gibt. Festgemacht haben wir das an mehreren Punkten.

Einer dieser Punkte war die Diskussion über die Arbeitszeitrichtlinie. Übersetzt hat sie bedeutet: Mehr arbeiten, weniger bezahlt bekommen! – Wir haben das immer wieder kritisch hier im Haus angemerkt, sogar in einer eigenen Sitzung des EU-Unteraus­schusses.

Der zweite Punkt unserer Kritik dieser neoliberalen Konzeption der Europäischen Union betraf die Dienstleistungsrichtlinie, die bedeutet hätte, dass kleine und mittlere Unternehmen, zum Beispiel aus Lettland, aus Estland, von wo auch immer, nach Österreich kommen und ihre Dienstleistung zu den Preisen und Bedingungen ihres Herkunftslandes hätten anbieten können. Das hätte aber eine wirkliche Gefährdung der Existenz vieler kleiner und mittlerer Unternehmen – und damit der Arbeitsplätze der hunderttausend Beschäftigten dort! – bedeutet! (Zwischenruf des Abg. Dr. Mitterleh­ner.)

Allein bei diesen zwei Punkten haben wir heftigst unsere Kritik angebracht.

Ein weiterer Punkt war, dass die Europäischen Union im Moment 19 Millionen, ja fast 20 Millionen Arbeitslose hat. Wir haben gesagt: Wo sind die Beschäftigungsinitiativen? Wo sind die Wachstumsinitiativen, damit es wieder ein Europa gibt, in dem – und jetzt kommen wir zu einem der Punkte – die Menschen, die hier leben, den Eindruck haben, dass ihre Interessen wahrgenommen werden, dass ihre Interessen nach Beschäfti­gung, nach Arbeit auch wirklich angesprochen und entsprechende Maßnahmen umge­setzt werden?

Das ist einer der vielen Gründe, warum es diese Skepsis gibt, warum es diese Kritik gibt: weil viele Menschen den Eindruck haben – auch hier in Österreich –, dass die Regierungschefs, die Minister, wenn sie nach Brüssel fahren – abgesehen davon, dass sie, wie ein Kommentator in den „Salzburger Nachrichten“ geschrieben hat, dort „mit gespaltener Zunge sprechen“ – dort keinen Beitrag leisten, damit den Interessen der Menschen in Europa auch wirklich entsprochen wird, dem Bedürfnis nach Beschäfti­gung, nach sozialer Sicherheit, nach einer Wachstumspolitik, die wichtig ist, damit die Sozialstaatsstrukturen in Europa weiter existieren können. (Abg. Dr. Fasslabend: Das stimmt nicht! ... Schröder ...!) – Jawohl, Herr Fasslabend, die Menschen erwarten sich auch von der Europäischen Union einen gewissen Schutz davor, dass der Globalisie­rungsdruck nicht 1 : 1 weitergegeben wird; sie erwarten sich, dass die Europäische Union dafür sorgt, dass es einmal so etwas wie eine soziale Union wird. (Abg. Dr. Fasslabend: So ist es!) – Ja! Aber die neoliberale Konzeption besagt: Es genügt, wenn es ein liberales Binnenmarktkonzept gibt; es genügt, wenn es eine bloße Wirt­schaftsunion ist mit Standortkonkurrenz, mit natürlich Steuerkonkurrenz – was wir ebenfalls kritisieren!

Uns ist das aber zu wenig! Wir meinen, es muss auch so etwas wie eine soziale Union geben. Es muss ein politisches Projekt sein.

Der Herr Bundeskanzler hat zu Recht gefragt: Welches Projekt, welches Modell der Europäischen Union wollen wir eigentlich? Dann müssen wir es aber auch ausspre­chen!

Dazu gibt es ein interessantes Zitat des ehemaligen französischen Premierministers Laurent Fabius – dessen Meinung zum Verfassungsvertrag ich nicht teile. Dieser hat gemeint, das momentane Bild, der Grund, warum die Stimmung in Europa so ist, ist, dass die Menschen empfinden, dass die EU „menschlich substanzlos, politisch identi-


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