Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 115. Sitzung / Seite 70

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einen Bewusstseinsprozess in zweifacher Richtung: einmal dass die Wünsche, Sor­gen, Ängste und Hoffnungen der Bürgerinnen und Bürger Europas einfach ernst genommen werden müssen und zweitens dass wir Europa mehr diskutieren müssen, darüber diskutieren müssen, wie der Bundeskanzler gesagt hat, welches Europa wir wollen, und Europa auch mehr kommunizieren müssen.

Meine Damen und Herren, es ist eine Banalität – ich spreche es aber trotzdem aus –: Die Zukunft Europas wird in hohem Maße davon abhängen, wie hoch die politisch-emotionale Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger Europas ist. Das wird die Zukunft Europas sein, meine Damen und Herren, und danach müssen wir auch handeln. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Wenn wir nun feststellen, meine Damen und Herren – und viele Vorredner haben das bereits angesprochen –, dass wir derzeit mit so etwas konfrontiert sind wie einer gewis­sen Europa-Müdigkeit, Europa-Skepsis, so möchte ich sagen: Das hat sicher verschie­dene Gründe. Ich möchte nur zwei anführen, die aus meiner Sicht wichtig sind.

Schauen wir uns einmal an, wie die EU den Bürgerinnen und Bürgern gegenübertritt. Da spielt die veröffentlichte Meinung natürlich eine entscheidende Rolle. Wie sollen sich die Bürger sonst eine Meinung bilden? Sie hören die Nachrichten, sie lesen die Zeitungen, informieren sich über Fernsehen und Radio. Wie tritt die EU also den Bür­gern gegenüber? Eigentlich ziemlich unsympathisch. Da ist monatelang zu lesen von den Machtkämpfen zwischen den Spitzenpolitikern in der EU, bis hin zu Spötteleien über die Esskultur in anderen Ländern. Da ist monatelang zu lesen von Spesen- und Privilegienskandalen im EU-Parlament. Da ist monatelang zu lesen von geradezu absurden Reglementierungen; Stichwort: Darf Marmelade Marmelade heißen? Da ist davon die Rede, als würde die Türkei schon morgen beitreten. Da heißt es: In der Transitfrage im Stich gelassen!, und Ähnliches mehr.

Meine Damen und Herren! Seien wir ehrlich: Bei jeder Meinungsumfrage kommt das heraus, was ich vorher monatelang „hineinblase“!

Aber die andere Seite der EU, meine Damen und Herren, ist eine faszinierende, eine strahlende Seite: Es gibt keine Alternative zum Friedensprojekt Europa. Es gibt keine Alternative zum Sicherheitsprojekt Europa. Es gibt keine Alternative zum Stabilitäts­projekt Europa! Es gibt keine Alternative zu gemeinsamen Wachstums- und Beschäfti­gungsstrategien in Europa. Und es gibt auch keine Alternative zu gemeinsamen Stra­tegien zur Erhaltung einer lebenswerten Umwelt, meine Damen und Herren. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren, ich will es jetzt nicht vereinfachen, aber für mich besteht die Lösung darin, dass die EU, wirtschaftlich formuliert, sich auf ihre Kernkompetenzen besinnt, denn diese Kernkompetenzen Frieden, Sicherheit, Stabilität, Wirtschaft und Wachstum und so weiter (Abg. Dr. Cap: Soziales!), auch die soziale Komponente, haben zweifellos eine gewaltige Mehrheit der europäischen Bevölkerung hinter sich. Das ist der wahre Kern, und das ist jenes Modell Europa und jenes europäische Le­bensmodell, das wahrscheinlich bei jeder Volksabstimmung eine überwiegende Mehr­heit der Bürgerinnen und Bürger hinter sich hätte.

Schauen wir uns das Beispiel Österreich an; mein Kollege Michael Spindelegger hat es schon erwähnt: Österreich hat von der Mitgliedschaft enorm profitiert. Die Entschei­dung unserer Bürger vor mehr als zehn Jahren, zwei Drittel für den EU-Beitritt, war eine richtige Entscheidung. Wir sind Wohlstandsgewinner. Kein Land in Europa hat so sehr von der Osterweiterung profitiert. Wenn wir heute drei Mal so viele Exporte nach Mittel- und Osteuropa haben wie noch vor zehn Jahren, so ist das ein Wohlstands­gewinn. Exporte heißen Arbeitsplätze, heißen Einkommenschancen, heißen letztlich soziale Sicherheit. Die Bedeutung des kleinen Landes Österreich international ist


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