Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 124. Sitzung / Seite 89

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13.14.26

Abgeordneter Mag. Dietmar Hoscher (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Tatsache ist, dass die angebliche Notwen­digkeit der Dienstleistungsrichtlinie auch in ökonomischer Hinsicht vielfach viel zu unfundiert dargestellt wird. So hat zum Beispiel die Europäische Kommission selbst anfangs von 2,8 Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen gesprochen, die geschaffen wer­den sollen, das dann aber rasch auf 1,6 Millionen revidiert – das sind ja „nur“ 1,2 Millionen Unterschied –, und derzeit sprechen Studien von Wirtschaftsforschungs­instituten von maximal 600 000 Arbeitsplätzen für ganz Europa – und dieses bitte brutto! Das heißt, nicht eingerechnet werden da jene Arbeitsplätze, die durch die Dienstleistungsrichtlinie verloren gehen werden. Der Nettoeffekt liegt also nach wie vor im Dunkeln.

Nur zum Vergleich und zur Erinnerung: Die ebenfalls von der Europäischen Kom­mission vorangetriebene Liberalisierung der öffentlichen Bahnen hat in den letzten Jahren und bis dato fast 800 000 Arbeitsplätze gekostet und keine gebracht. Die Wahrheit ist, dass bis heute keine fundierte Folgenabschätzung in Bezug auf die Dienstleistungsrichtlinie vorliegt, insbesondere nicht für die Bereiche Arbeitsmarkt, Löhne, Umwelt, soziale Absicherung, vor allem aber auch nicht für den Bereich der Klein- und Mittelunternehmen, jener Klein- und Mittelunternehmen, die unzweifelhaft das Rückgrat der österreichischen Wirtschaftsstruktur sowie des heimischen Arbeits­marktes sind.

Selbstverständlich wird es Dienstleister geben – das ist unbestritten –, die sich ob des Richtlinienentwurfes jetzt die Hände reiben werden: große Arbeitskräfteüberlasser, große Handelsketten, vielleicht auch große Reiseveranstalter, die sich ihren Firmensitz mit Leichtigkeit in jenem Land wählen können, in dem die Vorschriften im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit lediglich gering sind.

Aber was wird zum Beispiel ein kleines Reisebüro machen, das sich mit viel per­sönlichem Einsatz, mit wenigen Mitarbeitern, wenn überhaupt welchen, eine Nische geschaffen hat, in der es agieren kann, das alle Auflagen etwa im Hinblick auf den Konsumentenschutz erfüllt – und plötzlich in Konkurrenz zu Dutzenden Mitbewerbern steht, die gänzlich anderen Auflagen unterliegen und sich dort ansiedeln können, wo sie wollen, und unbeschränkt nach Österreich hereinarbeiten können?

Was soll der kleine Handwerksbetrieb machen, der vielleicht auch nur zwei, drei Mitarbeiter hat? Soll sich der jetzt einen „Briefkasten“ auf Gibraltar besorgen? Hat er überhaupt die Kapazitäten dazu, dieses zu tun? Ich fürchte, dass diese Unternehmen hier sehr allein gelassen werden. Für zahllose heimische klein- und mittelbetrieblich strukturierte Unternehmen – von Installateuren bis zum Reinigungsgewerbe, die alle unter diese Dienstleistungsrichtlinie fallen – entsteht so eine Konkurrenz, der sie vielfach nicht gewachsen sein werden, eine Konkurrenz, die wir nach unseren eigenen bisherigen Rechtsgrundsätzen in unserem Lande doch eher als unlauter bezeichnen würden.

Es ist meiner Überzeugung nach in keinster Weise ersichtlich und einsichtig, warum wir etwas, was wir innerstaatlich als unlauter ablehnen würden, auf europäischer Ebene plötzlich akzeptieren sollen! (Beifall bei der SPÖ.)

Momentan wird es unbestritten so sein, dass letztlich inländische Unternehmen stren­geren Auflagen unterliegen als ausländische Unternehmen, als die ausländische Kon­kur­renz, die unbeschränkt hereinarbeiten kann, während kleine Unternehmen, eben auf Grund geringerer Kapazität, nicht ins Ausland gehen werden können.

Das Motto der Europäischen Kommission, das hier anscheinend greift, dürfte so lau­ten: Springen wir zuerst einmal vom Zehn-Meter-Brett kopfüber ins Schwimmbecken


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