Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 133. Sitzung / Seite 67

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

12.13.48

Abgeordneter Dr. Caspar Einem (SPÖ): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mitglieder der Bundesregierung! Frau Bundesministerin! Herr Bun­deskanzler! Ich respektiere durchaus – das gilt vermutlich für uns alle – Ihr Enga­gement in europäischen Angelegenheiten. Das ist nicht der Punkt. Ich akzeptiere durchaus, dass Sie sich mit großem Engagement einsetzen. Ich habe nur den Eindruck – und das ist das Negative daran –, dass Sie noch nicht wirklich verstanden haben, worin das Problem besteht. (Ironische Heiterkeit und Zwischenrufe bei der ÖVP.) Ich sage Ihnen das ganz deutlich. (Beifall bei der SPÖ.)

Die deutsche Bundeskanzlerin, die jetzt frisch ins Amt gekommen ist und deren Prä­sidentschaft in mehr als einem Jahr beginnt, hat jetzt gegen Ende der britischen Präsidentschaft in einer ersten Wortmeldung zur Frage des Verfassungsprozesses auf europäischer Ebene etwas gesagt, was Sie längst hätten sagen können. Es ist Ihnen aber offenbar nicht eingefallen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn Sie, Frau Bundesministerin, wün­schen, dass die Bürgerinnen und Bürger Europas Vertrauen zum europäischen Projekt, zum wieder vereinigten Europa, wie Sie sagen, haben, dann dürfen Sie eben nicht dauernd nur vom Lebensmodell sprechen, das Sie jetzt zu erfinden im Begriffe sind, sondern sollten Sie klarmachen, dass es um ein Sozialmodell in Europa geht, das endlich wieder groß geschrieben werden muss. Das ist das, was Sie nicht verstehen. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Ich finde es ja wunderbar, dass Sie, Herr Bundeskanzler, ankündigen, Sie wollen gerne den Prozess des Hörens haben. Sie hören nur schon seit mehr als einem Jahr nichts, denn sonst könnten Sie es schon wissen: Das, was die Menschen in Europa vermis­sen, ist, dass sie das Gefühl haben, es ginge fair zu, und das ist heute an einem Beispiel, der Landwirtschaft, schon ziemlich deutlich gesagt worden. Wenn es so ist, dass die oberste Prozentschicht der Großgrundbesitzer die Hälfte der europäischen Förderung bekommt, während die Masse der kleinen Bauern, auch der öster­reichischen, mit 4 Prozent des Agrarbudgets abgespeist wird, dann muss ich Sie fragen: Das nennen Sie fair? – Nein, das ist nicht fair! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Oder nehmen Sie ein anderes Beispiel, ganz kleine Dinge, um die es ginge: Es müsste deutlich spürbar sein, dass es Ihnen darum geht, in Europa Mindeststandards für die arbeitenden Menschen zu schaffen, sodass sie sich darauf verlassen können, dass sie nicht auf der Strecke bleiben, wenn wieder Reformen stattfinden. Das ist das, was wir verlangen: Mindeststandards.

Betrachten Sie es an einem Beispiel, das in Österreich ständig gebracht wird, am LKW-Transitverkehr: Wenn die Lenker von LKWs endlich faire Mindeststandards hätten, was Lenk- und Ruhezeiten betrifft, die durchgesetzt werden, dann würde es auf den österreichischen Straßen anders ausschauen.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist offenbar nicht Ihr Ziel. Sie erzählen uns vom gemeinsamen Arbeitsprogramm mit den Finnen, das 58 Seiten umfasst – wunderbar, interessiert nur überhaupt niemanden. Das, was interessant ist, ist die Frage, ob Sie sich dafür einsetzen werden, dass es endlich Beschäftigung gibt, und um welche Projekte es gehen wird.

Herr Bundeskanzler, Sie haben bis heute verweigert, Auskünfte darüber zu geben, was es denn ist, was der österreichischen Präsidentschaft wirklich am Herzen liegt.

Ich respektiere, Frau Bundesministerin für Äußeres, wenn Sie sagen, die Entwicklung des Westbalkans ist ein zentrales Anliegen. Ja, das ist uns auch eines, einverstanden.


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite