Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 138. Sitzung / Seite 20

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Ich erteile nunmehr Herrn Abgeordnetem Verzetnitsch als Antragsteller zur Begrün­dung des Dringlichen Antrages das Wort. Seine Redezeit beträgt 20 Minuten. – Bitte.

 


15.01.48

Abgeordneter Friedrich Verzetnitsch (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Hohes Haus! Ja, es stimmt: Millionen Men­schen werden in wenigen Stunden ihren heutigen Arbeitstag beenden, aber es stimmt genauso, dass Millionen Menschen in Europa heute wieder vergeblich versucht haben, Arbeit zu bekommen, und am Ende des Tages wieder feststellen müssen, man braucht sie nicht. Und das ist, so glaube ich, Anlass genug, eine Sondersitzung einzuberufen und vor allem in Österreich einen Kurswechsel in der Politik herbeizuführen. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten der Grünen.)

In den letzten Tagen haben Statistiken wieder die Situation auf dem Arbeitsmarkt gezeigt. Es ist schon richtig, 380 000 Menschen suchen zurzeit Arbeit in Österreich. Es ist ganz entscheidend festzustellen ... (Abg. Ellmauer: Das ist falsch!) – Sagen Sie nicht, das ist falsch! Es sind Ende Jänner 380 000 Menschen, die Arbeit suchen – nicht weniger! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Vergessen Sie aber nicht, dass es nicht nur die 380 000 sind, sondern auch deren Familien, die dieses Schicksal mit tragen! Und damit das noch plastischer wird, weil diese Zahlen oft genug gar nicht zu begreifen sind: Ganz Vorarlberg, mehr als ganz Vorarlberg ohne Beschäftigung! – Nur damit wir wissen, worüber wir reden.

Und wenn Sie die Schulungen ansprechen: 53 000 Menschen suchen zurzeit in einer Ausbildung eine bessere Qualifikation. Da wäre zum Beispiel ganz Villach auf Schulung. Nur damit begreiflich wird, worum es in Wirklichkeit dabei geht.

71 000 Menschen unter 25, Menschen, die die Schule hinter sich gebracht haben, denen man gesagt hat, ihr müsst euch weiterbilden, damit ihr im Arbeitsleben bestehen könnt, müssen dann erfahren, dass sie eigentlich gar nicht gebraucht werden. 71 000 Menschen – das wäre die Bevölkerung von ganz Wels und Stockerau zusammengezählt.

Wir dürfen jene Menschen nicht vergessen, die heute auf dem Arbeitsmarkt oft genug erfahren, dass sie zu alt für die Arbeit sind, und in die Pension abgedrängt werden. Zurzeit sind es 15 000, die einen Pensionsantrag stellen. Das wäre die Bevölkerung von ganz Kufstein, die Pensionsanträge stellen würde. Und wer die Geschichte der Pensionsanträge kennt, weiß ganz genau, dass rund zwei Drittel dieser Anträge abgelehnt werden und diese Leute wieder auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Wir reden daher von einer sehr großen Zahl von Menschen in unserem Lande, die eine andere Politik erwarten als den dauernden Hinweis, in Europa ist es aus öster­reichischer Sicht sowieso wesentlich besser und so schlecht liegen wir doch eigentlich gar nicht.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, es würde zu kurz greifen, würden wir nur die Arbeitslosenstatistik heranziehen. Schauen wir uns den Arbeitsmarkt einmal im Detail an! Mehr als eine Million Menschen ist zurzeit in so genannten atypischen Arbeitsverhältnissen tätig. – Keine Gewerkschaftsstatistik, keine AMS-Statistik, son­dern eine Statistik der Statistik Austria. 148 000 davon arbeiten weniger als zwölf Stunden in der Woche in diesen Beschäftigungsverhältnissen.

Sie können ja auf das Arbeitsamt gehen. Ich war heute früh beim Arbeitsmarktservice in der Dresdnerstraße, um mir dort anzuschauen, welche Stellen angeboten werden. Hilfstätigkeiten: 5,35 € bis 5,80 € pro Stunde. Das sind 890 € im Monat bei Vollzeitbeschäftigung – weit entfernt von dem, was wir alle miteinander wollen, nämlich 1 000 € Mindesteinkommen für Vollzeitarbeit. Das brauchen wir in diesem Land, meine


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