Nationalrat, XXII.GPStenographisches Protokoll145. Sitzung / Seite 62

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12.09.15

Abgeordnete Mag. Brigid Weinzinger (Grüne): Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren hier im Hohen Haus, auf der Regierungsbank und auf der Besuchergalerie! Es ist jetzt schon mehrfach der Vergleich gebracht worden, der Europarat wäre das gute oder schlechte Gewissen Europas. Ich bin normalerweise keine besondere Freundin von moralischen Wertungen in der politischen Debatte, aber nehmen wir das Beispiel als Vergleich, und ganz so schlecht ist der Vergleich ja gerade in diesem Fall nicht.

Bei einem Gewissen stellen sich im Wesentlichen immer zwei Fragen. Die eine lautet: Wie gut ausgeprägt, wie solide und gefestigt ist das Gewissen? Da kann man dem Europarat, glaube ich, angesichts der Tatsache, dass er eine Institution mit 46 Mitgliedern ist, ein durchaus gutes Zeugnis ausstellen.

Der Europarat ist sicher sehr viel kritischer und bemühter, die Interessen zu vertreten, die im normalen politischen Geschäft zu kurz kommen, wie zum Beispiel die Men­schenrechte, als so manche andere politische Institution und jedenfalls ein sehr wichtiges, unverzichtbares Gegengewicht zur Alltagspolitik der Europäischen Union als solcher, wenn ich nur den europäischen Kontext nehme.

Die zweite Frage, die sich stellt, ist: Welche Wirkung hat das Gewissen? Es gibt Berichte, dass Menschen zwar ein Gewissen haben, aber aus der inneren Stimme nie irgendeine äußere Handlung resultiert. Die Frage ist: Wie wirkt sich dieses Gewissen Europas, um beim Vergleich zu bleiben, handlungsbeeinflussend in den Mitglied­staaten und in Europa aus? – Und da ist die Bilanz, die man nach diesen letzten Jahren, nach den 50 Jahren ziehen kann, leider nicht ganz so erfreulich wie bei der ersten Frage.

Wenn ich mir ansehe, dass wir auf der einen Seite eine Europäische Menschen­rechtskonvention haben, die unschätzbar und wichtig ist, und mir gleichzeitig überlege, wie sich gerade in den letzten Jahren etwa das Fremdenrecht in den Mitgliedstaaten entwickelt hat, so muss ich sagen, das steht in keinerlei gutem Zusammenhang.

Es gibt ganz klare Verschärfungen im Fremdenrecht, auch in Österreich als Mitglied­staat des Europarates, die zumindest mit der Menschenrechtskonvention in Reibung, wenn nicht in einen klaren und offenen Widerspruch treten. Da fragt man sich dann: Wie weit kommt ein Gewissen zur Geltung? Das heißt, wir haben in den letzten Jahren gerade innerhalb der Europäischen Union und in Österreich Entwicklungen, politische Entwicklungen, die gegen das Gewissen, das der Europarat formuliert hat, laufen.

Ein zweiter Beispielfall: der bereits genannte Bereich des Menschenhandels. Dazu gibt es eine Konvention des Europarates, die noch von keinem einzigen Mitgliedstaat ratifiziert wurde. Das heißt, wir haben ein gut ausgeprägtes Gewissen, wir haben eine gute Konvention, die einem verheerenden Missstand Rechnung trägt und sagt, es braucht gemeinsame Bemühungen der europäischen Staaten und jedes einzelnen Mitgliedstaates des Europarates gegen Menschenhandel, gegen Frauenhandel, gegen die Tatsache, dass das inzwischen das blühendste Geschäft international ist – läuft bes­ser als der Drogenhandel oder der Waffenhandel. Und es gibt eine einfache Begründung dafür: Menschen kann man mehrfach verkaufen, Drogen und Waffen im Regelfall nur einmal.

Frau Außenministerin, was tun die Mitgliedstaaten, was tut Österreich? – Wir haben die Konvention unterzeichnet, aber die Ratifikation lässt auf sich warten.

Ich kann daher nur einfordern, dass wir das Gewissen Europas nicht nur abfeiern, an seinen Geburtstagen oder in Sonntagsreden, sondern dass wir es als Anleitung für das


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