Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 153. Sitzung / Seite 55

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muss man sagen, das ist ein kleiner, ein sehr kleiner Schritt, aber zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.

Strafvollzug ist ein höchst sensibles Gut, Frau Ministerin – da stimme ich mit Ihrer Diagnose überein –, das wirklich unsere höchste Aufmerksamkeit verdient. Aber immerhin wird unsere Gesellschaft gerade in diesem Bereich besonders mit ihren Grenzen konfrontiert und in ihrer Humanität auf die Probe gestellt. Wenn man einem Menschen das höchste Gut nimmt, nämlich seine Freiheit, dann müssen wirklich alle Vorkehrungen getroffen werden, dass dieser Eingriff möglichst schonend vorgenom­men wird.

Die organisatorischen Rahmenbedingungen müssen so gestaltet werden, dass der primäre Strafzweck zumindest eine Chance hat, erreicht zu werden. Mit primärem Strafzweck meine ich die Spezialprävention, dass der Häftling wirklich zur Einsicht kommt, von weiteren Straftaten abgehalten wird und wieder sozialisiert wird. Jeder verdient eine zweite Chance, und ob das beim derzeitigen Strafvollzug wirklich der Fall ist, wage ich zu bezweifeln. Das liegt aber sicher nicht an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Justizwache. Diese sind höchsten physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt, und sie verdienen wirklich die bestmögliche Unterstützung und die bestmögliche Aus- und Weiterbildung, um ihre schwierigen Aufgaben erfüllen zu können.

Die Organisationsreform, die uns heute zur Beschlussfassung vorliegt, ist nur ein kleines Mosaiksteinchen und sicherlich nicht geeignet, das Gesamtproblem zu lösen. Diesen Anspruch kann man an dieses Reförmchen sicher nicht stellen.

Die Gefängnisse sind derzeit übervoll. Wir haben an die 9 000 Häftlinge in Österreich, und es ist wirklich höchst an der Zeit, die Häftlingszahlen zu reduzieren, statt die Gefängnisse immer weiter vollzustopfen. Alternativen wie etwa die elektronische Fußfessel sind Erfolg versprechende Modelle, die ausgeweitet gehören. Freiheits­strafen müssen wirklich das allerletzte Mittel bleiben und gehören so kurz wie möglich gehalten. Diversion, Geldstrafen, Sozialarbeit müssen vorrangig verhängt werden.

Wenn Gerichte mit den bedingten Entlassungen so betont restriktiv umgehen, dann hat das seine Gründe, und das erfordert auch seine Konsequenzen durch die Politik. Die bedingte Entlassung nach Verbüßung der Halbstrafe ist nach wie vor die Ausnahme, und auch die Entlassung nach zwei Drittel der Haftdauer ist noch immer keine Selbstverständlichkeit. Das liegt jetzt aber nicht an der Scharfrichtermentalität unserer Richterinnen und Richter. Ich habe selbst im Zuge meiner Gerichtspraxis bei einem Haftrichter gearbeitet und erkundige mich auch nach wie vor über die aktuelle Situation, und wenn man mit Haftrichterinnen und -richtern spricht, dann erhält man auch die Antwort darauf: Wenn sie sich nicht hundertprozentig sicher sind, dass man ohne Auflagen und Bewährungshilfe auskommt, dann lassen sie keinen frei, weil für die Kontrolle der Auflagen das Personal fehlt und die Bewährungshilfe sowieso notorisch unterbesetzt ist.

Das ist meiner Ansicht nach ein krasser Widerspruch: Da lassen wir lieber Tausende Häftlinge im Häfen braten, wo sich wirklich kaum jemand bessert, bevor man in eine wirklich effiziente Resozialisierung investiert. – Diese Logik richtet sich meiner Meinung nach von selbst. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

15.55


Präsident Dr. Andreas Khol: Herr Abgeordneter Ing. Kapeller spricht nun 3 Minuten zu uns, 2 Minuten, 1 Minute? – Wie Sie wollen, Herr Kollege.

 


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