Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 154. Sitzung / Seite 60

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unberührt“ bleibt. Damit ist auch die österreichische Neutralität gemeint. Es ist also einer unserer Verhandlungserfolge, dass wir uns für unsere Neutralität und unsere Sicherheitspolitik freie Hand bewahren konnten. (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Scheibner.)

Dieses Volksbegehren geht auch, wie schon erwähnt, auf Artikel 23f B-VG ein, den es bekanntlich seit 1995, also seit über ein Jahrzehnt gibt. Diese Bestimmung stellt klar, dass sich Österreich auch als neutraler Staat an der gesamten Außen- und Sicher­heitspolitik der Europäischen Union beteiligen kann. Es ist richtig, dass Artikel 23f eine gewisse Weiterentwicklung im Vergleich zum Jahre 1955 gebracht hat, nur: Wer leugnen wollte, dass es Veränderungen im politischen Umfeld, auch der Neutralität gegeben hat, der nimmt die heutige Realität einfach nicht zur Kenntnis! Rechtstexte, auch Verfassungen müssen neuen Realitäten angepasst werden, und der österreichi­sche Beitritt zur Europäischen Union, aber auch der Fall des Eisernen Vorhanges haben die politischen Realitäten in Europa grundsätzlich verändert.

Was den EU-Verfassungsvertrag betrifft, so möchte ich es ausnahmsweise nicht mit dem von mir sehr geschätzten Dichter Goethe halten und „Dichtung und Wahrheit“ gemeinsam behandeln, sondern ich glaube, dass wir das unterscheiden sollten. Gerade auch als Jurist, der ich bin, möchte ich sagen: Wir sollten alle präzise sein! Es gehört zu den Spielregeln eines Rechtsstaates, dass wir den Bürgern gegenüber präzise sind.

Hohes Haus! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich halte es nicht für verant­wortungsvoll, Horrorszenarien zu entwerfen, die von den Bürgern, die vielleicht die Texte, die Resolutionen und die Bestimmungen verschiedener Texte nicht so genau kennen, wörtlich genommen werden könnten. Wenn in der Begründung zum Volks­begehren von einer Ermächtigung des EU-Ministerrates zum Führen weltweiter Kriege oder von der Förderung der Atomenergie die Rede ist, so muss ich sagen: Das sind Behauptungen, für die es keinerlei Begründungen gibt! (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von Freiheitlichen – BZÖ.)

Was den Verfassungsvertrag betrifft, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist zu sagen: Ich bekenne mich dazu, dass dieser Vertrag ein guter Vertrag ist, dass er unter den Umständen, wie er zustande gekommen ist, das Maximum dessen darstellt, was zu erreichen war. Ich glaube, viele der Sorgen, die die Bürgerinnen und Bürger heute vorbringen und ansprechen, würden ihre Lösung im Verfassungsvertrag finden. Der Verfassungsvertrag bedeutet mehr Demokratie, mehr Bürgerrechte, mehr Rechte für die nationalen Parlamente, eine glaubwürdige Außen- und Sicherheitspolitik, die von den Menschen gewünscht wird. Daher ist es schade, dass dieser Vertrag, zumindest in der derzeit vorliegenden Form, derzeit nicht in Kraft treten kann.

Aber – und das ist beim Europäischen Rat vor wenigen Tagen wieder sehr deutlich zum Ausdruck gekommen, und auch der Bundeskanzler hat das gestern im Euro­päischen Parlament sehr deutlich gesagt – keiner der Staats- und Regierungschefs hat Zweifel an der Substanz des Verfassungsvertrages geäußert – und das scheint mir doch bemerkenswert zu sein! Sicherlich wird es Anpassungen geben müssen, im Lichte auch der Referenden in Frankreich und in den Niederlanden, aber die Grund­sätze, die im Verfassungsvertrag verankert sind, müssen und sollen bewahrt werden.

Ich glaube, dass es Europa gut täte, wenn diese Prinzipien im Verfassungsvertrag – in welcher Form auch immer, ob in einem anderen Vertrag, einem Verfassungsvertrag oder anderswo – verankert würden, denn das wird die Funktionsfähigkeit der Euro­päischen Union bewahren, und das ist gut für die Bürgerinnen und Bürger. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten von Freiheitlichen – BZÖ.)

 


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