Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 161. Sitzung / Seite 75

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dieser Rechtsbruch noch ausgezahlt.  Das ist das bedenklichste Resultat der Dis­kussion der letzten Tage und des vorläufig gescheiterten Versuchs von ÖVP und BZÖ, die im Staatsvertrag von Wien verbrieften Minderheitenrechte durch neue Verfas­sungsbestimmungen auszuhebeln. Einige haben diesen Versuch sogar als „historische Lösung“ bezeichnet.

In seinem Erkenntnis von 13. Dezember 2001 hat der Verfassungsgerichtshof jene Passage des Volksgruppengesetzes 1976 als verfassungswidrig aufgehoben, die für das Aufstellen von zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten und in Burgenland einen

25 % Anteil von Minderheitenangehörigen  vorsah. Die zu Korrektur vorgesehene Frist bis 31.12.2002 ließ die Bundesregierung völlig ungenutzt verstreichen.

Die Bundesregierung hat seit 2001 den Auftrag des VfGH zur Erlassung einer neuen Topografieverordnung negiert. Am 30.06.2006 wurde völlig überstürzt  eine neue Topografieverordnung für Kärnten im Hauptausschuss beschlossen. Diese Verordnung beinhaltet lediglich 93 Ortstafeln und ist mit Sicherheit (erneut) verfassungswidrig. Der Erstentwurf dieser Verordnung hatte noch 158 zweisprachige Ortstafeln vorgesehen. Am 11. 7. 2006 wurde eine neuerliche Topografieverordnung über 142 Ortstafeln beschlossen, die nun mangels Verfassungsbestimmung nicht in Kraft treten kann. Diese Verordnung bezieht sich auf ein Gesetz, welches bislang noch nicht beschlossen wurde.  Das Resultat ist, dass nun eine verfassungswidrige Topografieverordnung über 93 Ortstafeln in Kraft ist. Dies im 51. Jahr nach in Kraft treten des Staatsvertrages von Wien.

Der Staatsvertrag von Wien regelt im Artikel 7 die Rechte der Minderheiten auf  topografische Aufschriften im Verfassungsrang. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem sogenannten Ortstafelerkenntnis 2001 Teile des Volksgruppengesetzes und der Topografieverordnung als verfassungswidrig aufgehoben. Er hat dabei den Staats­vertrag von Wien zur Auslegung herangezogen und ausgesprochen an welchen Kriterien sich eine verfassungskonforme Regelung orientieren muss. Zweisprachige Ortstafeln müssen dem gemäß in Ortschaften mit einem Minderheitenprozentsatz von „mehr als 10% über einen längeren Zeitraum“ aufgestellt werden. Die gegenständliche Regelung des Volksgruppengesetzes hat damit nichts zu tun. Zweisprachige Ortstafeln sind darin erst ab einem Minderheitenanteil von 10% in Ortschaften und ab 15% in Gemeinden vorgesehen.  Es besteht ein doppelter Widerspruch zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes. Dieser sieht in seinen Erkenntnissen eben keinen Mindestanteil von 15% auf Gemeindeebene vor, zum anderen differenziert der Ver­fassungsgerichtshof nicht  zwischen Ortschaften und Gemeinden, geschweige denn hat er eine kumulative Verknüpfung von Prozentanteilen auf Ortsebene und Ge­meindeebene vorgesehen.

Die Ereignisse der letzten Tage haben gezeigt, dass es bisher nicht gelungen ist, einen tragfähigen Kompromiss für die Herstellung eines verfassungskonformen, dem Staats­vertrag entsprechenden Rechtszustandes herzustellen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat umgehend den Entwurf eines Volksgruppengesetzes zuzuleiten, damit so rasch wie möglich eine verfassungs­kon­forme Rechtslage hergestellt wird.

 


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