Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll55. Sitzung, 9. April 2008 / Seite 89

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formvertrag überhaupt unvereinbar mit den Grundprinzipien der österreichischen Bun­desverfassung ist, zumal bedenkenswert ist, ob durch politische Staatsverträge eine Gesamtänderung der Bundesverfassung überhaupt zulässig ist. Diese Bedenken äußert der renommierte Experte für öffentliches Recht Prof. Schachtschneider auch in einem von der FPÖ in Auftrag gegebenen Gutachten, welches in sechs Punkten dar­legt, warum eine Volksabstimmung über den Reformvertrag in Österreich erforderlich ist und eine grundlegende Kritik am Vertrag darlegt:

1. Vereinfachtes Änderungsverfahren

Die Einrichtung des „vereinfachten Änderungsverfahrens“ durch Art. 33 Abs. 6 des Ver­trages über die Europäische Union (EUV) ist eine „Gesamtänderung der Bundesverfas­sung“ im Sinne des Art. 44 Abs. 3 B-VG, die „einer Abstimmung des gesamten Bun­desvolkes zu unterziehen“ ist. Nach Art. 33 Abs. 6 EUV kann der Europäische Rat durch Beschluss nach Anhörung des Europäischen Parlamentes und der Kommission sowie, bei institutionellen Änderungen im Währungsbereich der Europäischen Zentral­bank, auf Initiative der Regierung jedes Mitgliedstaates, des Europäischen Parlaments und der Kommission einstimmig „die Änderung aller oder eines Teils der Bestimmun­gen des Dritten Teiles des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ beschließen. Dieser Dritte Teil umfasst alle wichtigen Politiken der Union außer
der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Beschluss tritt zwar nach Unterabs. 2 S. 3 des Art. 33 Abs. 6 EUV „erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren je­we­ligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft“, aber der Beschluss ist kein „poli­tischer Staatsvertrag“ im Sinne des Art. 50 B-VG, welcher der Zustimmung des Natio­nalrates und gegebenenfalls des Bundesrates und der Ratifikation durch den Bundes­präsidenten (Art. 65 Abs. 1 B-VG) bedarf. Die Gesetzgebungsorgane Österreichs müs­sen somit an dem Verfahren nicht beteiligt werden. An diesen Änderungen wirkt für Ös­terreich, wie dargelegt, maßgeblich nur der Bundeskanzler mit, weil der Europäische Rat einstimmig entscheiden muss. Das vereinfachte Änderungsverfahren ist der Sache nach eine Diktaturverfassung, die kaum noch einen demokratischen Rest aufweist.

2. Generalermächtigung zur Mittelbeschaffung

Der Reformvertrag hat trotz des Maastricht-Urteils, das der großen Generalklausel, der Kompetenz-Kompetenz des Art. F Abs. 3 EUV (Art. 6 Abs. 4 EUV bisherige Fassung) die rechtliche Verbindlichkeit (zur Rettung des Maastricht-Vertrages) abgesprochen hat (BVerfGE 89, 155 (196 f.)), in Art. 269 Abs. 1 im Vertrag über die Arbeitsweise der Uni­on (VAU) eine fast gleichlautende Bestimmung beibehalten, diese allerdings in den Ti­tel II des Fünften Teils, der die Finanzen der Union regelt, gestellt, also auf Mittel zur Finanzierung des Haushaltes der Union begrenzt. Jetzt aber wird ein Verfahren für die Umsetzung dieser Generalermächtigung eingeführt, das an der rechtlichen Verbindlich­keit der Ermächtigung nicht mehr zu zweifeln erlaubt. Nach Absatz 3 Unterabsatz 1 nämlich erlässt der Rat einen Beschluss, den er einstimmig nach einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Europäischen Parlaments fasst, mit dem die Bestimmungen über das System der Eigenmittel der Union festgelegt werden. Dieser Beschluss kann neue Kategorien von Eigenmitteln einführen, aber auch beste­hende Kategorien abschaffen. Die neuen Kategorien von Eigenmitteln können und werden auch europäische Steuern sein.

3. Flexibilitätsklausel

Die Flexibilitätsklausel des Art. 308 Abs. 1 VAU ermöglicht es der Union, zur Verwirkli­chung der überaus weit gesteckten Ziele der Verträge durch Vorschriften des Rates auf


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