Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll58. Sitzung / Seite 127

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ist. Sie, Herr Minister Platter, haben gesagt, wir können uns nicht vorstellen, dass ein Familienvater so ein Verbrechen begeht.

Ich frage mich schon: Wieso können Sie sich das nicht vorstellen? – Was ich mir vorstellen kann, ist, dass man es sich nicht vorstellen will, dass man es sich nicht ausmalen will. Aber dass man sich das nicht vorstellen kann, wenn wir wissen, dass es Tausende und Abertausende von Missbrauchsfällen in Österreich gibt, das verwundert mich. Es ist genau auch ein bisschen diese sprachliche Schwierigkeit, die meine Kollegin Weinzinger angesprochen und die Sie so in Emotion versetzt hat. Denn was heißt das ... (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Sie brauchen nicht gleich wieder anfangen zu schreien. Hören Sie vielleicht einmal zu!

Was heißt das: Wir können uns nicht vorstellen, dass ein Familienvater so ein Verbrechen begeht? – Aus meiner Sicht bedeutet das im Hintergrund, auch wenn das nicht die Absicht ist, dass man so ein Verbrechen Familienvätern nicht zutraut. Und das heißt, es ist eine gewisse Vorentschuldigung für Familienväter da. Das lässt auch auf ein ganz bestimmtes Familienbild schließen, auch wenn es nicht so gemeint ist. Ich unterstelle das niemandem, ich sage nur – und das ist das, was Sie nie anerkennen wollen –, dass Sprache hier sehr wohl auch etwas aussagt. (Beifall bei den Grünen.)

Wenn jemand ein so genannter guter Familienvater ist oder so erscheint ... (Ruf bei der ÖVP: Was haben Sie für ein Familienbild?) – Ja, das ist Psychologie, aber das ist auch Soziologie, weil wir alle von dieser Sprache geprägt sind. Und wenn jemand als guter Familienvater erscheint, dann entspricht er einem ganz typischen Familienbild und wird in der Regel nicht weiter belästigt – nämlich viel eher als jemand, der nicht als guter Familienvater aufscheint, was in dem Fall für Frau und Kinder ein Glück sein kann, weil dann der Sache eher nachgegangen wird.

Was ich sagen will, was wir auch gehört haben, ist: Es schlägt jemand Frau und Kinder. Da gab es jetzt etliche Fälle. Die ganze Umgebung weiß es. Und wenn es so ist, dass die ganze Umgebung das weiß und niemand etwas sagt, dann ist das nicht nur oder nicht in erster Linie ein Problem der Nachbarn, sondern es ist ein Ausdruck einer gesellschaftlichen Haltung – und da gehören wir alle dazu –, die autoritäre Muster bis hin zur Gewalt nach wir vor duldet – duldet, nicht explizit dafür ist, aber duldet!

Um auf noch so eine Aufregung von vorhin zurückzukommen: Wenn ein Ermittler der Polizei sagt, der Herr F. hätte eben eine „erhöhte Potenz“, dann muss das für manche Leute wie eine Entschuldigung klingen, auch wenn es nicht so gemeint ist. Der hat halt eine erhöhte Potenz, und deswegen hält er sich seine Tochter als Geliebte im Keller. Das muss wie eine Entschuldigung klingen, aber ich sage, das ist nicht das Problem dieses polizeilichen Ermittlers, sondern wir haben hier ein gesellschaftliches Problem, nämlich das Problem, dass noch immer über weite Strecken ein Gesellschafts- und Familienbild vorherrscht, das Gewalt an Frauen und Kindern implizit – nicht explizit, aber implizit – akzeptiert, und dass es noch immer ein Bild gibt, das Kinder als Besitz der Eltern sieht und in gewisser Weise den Eltern auch sehr viel Freiraum gibt, was sie mit ihren Kindern machen.

Natürlich ist das kein österreichisches oder kein rein österreichisches Phänomen, aber eine Frage, glaube ich, darf man stellen. Warum zum Beispiel ist ... (Ruf bei der ÖVP: In welchem Land leben Sie?) – Im selben Land wie Sie erstaunlicherweise. Es zeigt ja nur, dass es unterschiedliche Sichten gibt, und die darf ich genauso wie Sie hier am Rednerpult vortragen. (Beifall bei den Grünen.)

Interessant ist schon, dass es in Österreich ein Drittel mehr Tote durch Missbrauchs­fälle gibt als zum Beispiel in Dänemark oder Finnland. Man darf sich doch wohl fragen, warum das so ist. Das wird Sie wahrscheinlich auch interessieren. Warum gibt es Länder, wo es mehr solcher Fälle gibt und Länder, wo es weniger gibt? Mich inter-


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