Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll67. Sitzung / Seite 120

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Dennoch wurde zuletzt am 7.7.2008 die Untersuchungshaft mit fadenscheinigen Be­gründungen neuerlich verlängert. Das Oberlandesgericht Wien hat über die anhängi­gen Haftbeschwerden bis heute nicht entschieden.

3. Missbräuchliche Anwendung des § 278a StGB – „Kriminelle Organisation“

Der Tatbestand des § 278a StGB wurde für die Bekämpfung mafiaähnlicher Verbin­dungen geschaffen. Intention der Schaffung des § 278a StGB war also die Bekämp­fung schwerer organisierter Kriminalität, gedacht wurde an Organisationen wie bei­spielsweise die sizilianische Mafia, die kalabrische N’drangheta oder die chinesischen Triaden (vgl Kienapfel, JBl 1995, 613). Nun wird er zur Kriminalisierung der Tierschutz­bewegung missbraucht.

Der Tatbestand „Kriminelle Organisation“ wird offenbar nur deswegen herangezogen, da keine konkreten Tatnachweise vorliegen. Für alle ungeklärten Fälle, die mit Tier­schutz zusammenhängen könnten, wird eine kriminelle Organisation verantwortlich ge­macht.

Nicht nur Amnesty International zeigte sich aufgrund der angeblich vorliegenden Be­weislage irritiert darüber, dass hier das Gesamtdelikt der Mitgliedschaft in einer krimi­nellen Organisation verfolgt wurde und nicht entsprechende Strafverfahren wegen Sachbeschädigung, Nötigung oder gefährlicher Drohung eingeleitet wurden.

Offensichtlich wurde auf den „Mafiaparagrafen“ zurückgegriffen, da es trotz ausgiebi­ger, ja sogar ausufernder Ermittlungen unter Heranziehung modernster technischer Er­mittlungsmethoden durch mehrere Jahre hindurch der Polizei nicht gelang, eine Reihe schwerer Sachbeschädigungen gegen Bekleidungsgeschäfte aufzuklären. Anschei­nend wurde diese Bestimmung genau in jenem Moment herangezogen, als dies zur Er­langung der gerichtlichen Bewilligung noch weitergehender Ermittlungsmethoden ge­fordert war.

Im Ergebnis konnten jedoch gegen die jetzt Beschuldigten trotz dieser weitreichenden Ermittlungsmethoden keine Beweise einer Beteiligung an den untersuchten schweren Sachbeschädigungen gefunden werden. Statt dessen wurde die Tätigkeit legaler Ver­eine überwacht, die Teilnahme an legalen Demonstrationen dokumentiert, die Tele­kommunikation einer Vielzahl von Tierschützern abgehört, die verfassungsrechtlich ge­schützte Abgabe von freien Meinungsäußerungen zu Tierschutzfragen im Internet er­forscht, und aus all diesen Mosaiksteinen die Behauptung konstruiert, die Beschuldig­ten seien „militante Tierrechtler“ und alleine aufgrund dieses Umstandes der angebli­chen kriminellen Organisation zugehörig und deshalb für sämtliche ungeklärten Strafta­ten mit möglichem Zusammenhang zur Tierschutzszene verantwortlich.

Diese ausufernde Interpretation durch die ermittelnden Polizeibeamten wurde
von Staatsanwaltschaft und Untersuchungsrichtern bestätigt, ohne dass erkennbar eine eingehende rechtliche Prüfung erfolgt wäre, welche die irrige Auslegung
des § 278a StGB zu Tage bringen hätte müssen.

Tatsächlich kann der Tatbestand des § 278a StGB bei richtiger rechtlicher Auslegung nämlich nicht erfüllt sein:

Die im Gesetz geforderte „unternehmensähnliche Organisation“ liegt in der von der Staatsanwaltschaft beschriebenen losen Vernetzung nicht vor.

Nur durch Zusammenrechnung zweier nachweislich unabhängiger Personengruppen konnte die geforderte Mindestzahl von Mitgliedern erreicht werden.

Die angebliche Organisation strebt keine Bereicherung an, und auch ein „erheblicher Einfluss auf Politik und Wirtschaft besteht“ nicht.

Das vom Gesetzgeber einschränkend gedachte Tatbestandsmerkmal einer besonde­ren Abschirmung gegen Strafverfolgungsmaßnahmen wurde in sein Gegenteil ver-


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