Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll72. Sitzung / Seite 56

HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite

11.02.27

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Erstes bitte ich meine Kolleginnen und Kollegen vom grünen Klub, mir keine Standing Ovations zu bereiten. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Riepl: Wären auch gar nicht auf diese Idee gekommen!)

Ich finde, es ist ja ganz nett, dass Sie hier eine Fernsehshow abziehen, aber wir sind hier im Hohen Haus. Ich meine, mich haben Sie jetzt nicht überzeugt, Herr Faymann und Herr Molterer. Das waren Reden für die Galerie. – Macht nichts. Wir wissen, dass es vier Tage vor dem Wahlsonntag ist. Da ist es eben so. Aber ich werde mich bemü­hen, nur teilweise eine Wahlkampfrede zu halten – das ist natürlich unvermeidlich – und auch ein bisschen zur Sache zu sprechen.

Herr Vizekanzler Molterer, rechtzeitig und richtig reagieren auf die internationale Fi­nanzkrise, haben Sie gesagt. Aber Sie haben nicht dazugesagt, dass von rechtzeitig und richtig in aller Welt, auch in Österreich, keine Rede sein kann. Die Finanzmarkt­aufsicht in aller Welt, aber auch die in Österreich hat verschlafen, was sich da im Ban­kenbereich und im Schattenbereich der Banken, bei den Investbanken, tut, und zwar in den letzten Jahren überall.

Zuständig für diesen Bereich, Herr Vizekanzler und Finanzminister, ist der Finanzminis­ter, in diesem Fall seit zwei Jahren Finanzminister Molterer. Ich will Sie deswegen gar nicht über Gebühr angreifen. Ich sage ja, in aller Welt haben die Aufsichtsbehörden diese Entwicklung verschlafen. (Abg. Strache: Das ist richtig!) Sie haben verschlafen, dass Banken und Versicherungen in einem Ausmaß, das aus heutiger Sicht unvorstell­bar ist, Risken nicht gestreut, sondern versteckt haben, und zwar so gut versteckt, dass jetzt keine Bank mehr der anderen traut, weil sie nicht weiß, wie gut die andere noch dasteht. Das ist eine Vertrauenskrise ersten Ranges mit den entsprechenden Konsequenzen auf den Kreditsektor. Dass es schwieriger wird, Kredite zu bekommen, nicht nur für Immobilien, nicht nur für den Hausbau, sondern auch für Firmen, das ist praktisch unvermeidlich. Allein dadurch entstehen die Folgen für den realen Sektor, den Sie, Herr Molterer, schon kurz skizziert haben.

In der Haut der amerikanischen Aufsichtsbehörden und Finanzbehörden möchte ich auch nicht stecken. Wenn sie nichts tun, riskieren sie einen Dominoeffekt in der inter­nationalen Banken- und Versicherungswelt. Das kann uns nicht recht sein. In dieser Beziehung sollten uns auch die 700 Milliarden Dollar oder 500 Milliarden € nicht schre­cken. Das ist wirklich der Supergau, der dort möglich sein könnte. Aber wenn sie etwas tun, wenn sie einzelne Bankhäuser vor dem Zusammenbruch retten, auf die eine oder andere Art, dann riskieren sie, dass dieses Verhalten weitergeht. Die Ökonomen nen­nen das Moral-Hazard-Verhalten, moralisches Hasard: die Risiken auf andere abwäl­zen, die Gewinne selber einstreichen, wenn man weiß, die allfälligen Verluste werden ja sowieso sozialisiert beziehungsweise vom Staat übernommen.

Aber wenn Sie, Herr Molterer, in diesem Zusammenhang auch vornehm verschweigen, dass es natürlich auch Auswirkungen auf den Pensionssektor in Österreich gibt, dann meine ich, diese offene Flanke hätten Sie sich ersparen können. (Beifall bei den Grü­nen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Die letzten 15 Jahre wurden doch die ÖVP und andere liberale Gruppierungen – in die­sem Fall muss man von neoliberalen Gruppierungen sprechen – nicht müde, die Bevöl­kerung, egal, welchen Alters, darauf hinzuweisen, dass die private Pensionsvorsorge über Aktien, über Fonds, über Pensionskassen das Gelbe vom Ei sei, weil auf die öf­fentliche Pensionsvorsorge kein Verlass sei. Wir haben das immer kritisiert. Sie haben das steuerlich gefördert. Da sind Hunderte Millionen Euro hineingeflossen. Aber die beste steuerliche Förderung kann nicht verhindern, dass ein Aktienmarkt crasht. Daran


HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite