Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll75. Sitzung / Seite 21

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13.59.29

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Frau Präsidentin! Meine Da­men und Herren! Auch Josef Cap liest offensichtlich die „Financial Times“, denn in die­ser war nämlich vor zwei Tagen der Artikel „A prophet reborn“ – gemeint ist John May­nard Keynes, der große Theoretiker der Ökonomie – zu lesen, der, wie auch in diesem Artikel beschrieben wird, letztlich nichts anderes vorhatte, als den Kapitalismus zu ret­ten. Im deutschen Sprachgebrauch würde man sagen: die Marktwirtschaft – oder, wenn Sie so wollen: die soziale Marktwirtschaft. (Abg. Dr. Schüssel: Das ist etwas an­deres! Das ist ein Unterschied!)

Meine Damen und Herren von der ÖVP (Zwischenruf des Abg. Mag. Kukacka), das, was Sie unter Keynesianismus verstehen, würde ich als „Vulgär-Keynesianismus“ be­zeichnen. Das hat nichts mit dem zu tun, was Keynes wirklich gesagt hat. (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Dr. Fichtenbauer.)

Wir haben heute – inhaltlich gesehen – drei wesentliche Pakete zur Abstimmung vorlie­gen: die Reform der Einlagensicherung, Garantien und Haftungen für Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen und last not least die Möglichkeit von Staatsbeteiligun­gen bis hin zur Enteignung, wenn Gefahr im Verzug ist im Kreditsektor. Insgesamt ein 100-Milliarden-Paket!

100 Milliarden € – rein rechnerisch gesehen ungefähr ein Drittel des österreichischen Bruttoinlandsprodukts. Das ist eine gigantische Zahl! Und natürlich versteht es jeder von uns, wenn er Leute auf der Straße trifft, die sagen: Bitte schön, 100 Milliarden für die Banken, und wenn ich in Konkurs gehe, wer hilft mir? Niemand! – Das stimmt na­türlich! Es ist gar nicht so leicht zu vermitteln, dass es hier nur vordergründig um ein Banken-Rettungsprogramm geht, sondern um ein Rettungsprogramm für die Wirtschaft insgesamt, für uns Konsumenten insgesamt, letztlich für uns Steuerzahler insgesamt. Denn wenn wir in diesem Zusammenhang nichts tun würden, wenn wir nichts getan hätten, dann wären mit Sicherheit katastrophale Wirkungen eingetreten, ähnlich jenen der Weltwirtschaftskrise 1929 und der folgenden Jahre.

Auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, dass man zwar ein Problem löst, ein an­deres oder mehrere andere Probleme jedoch entstehen. Das eine ist ganz sicher die alte und ungelöste Frage des Moral Hazard, des moralischen Hasards, im Verhalten insbesondere von Kreditinstituten, denn wenn die die Garantie haben, dass sie nicht untergehen können, dann nehmen sie natürlich Risken auf sich, die sie sonst nicht auf sich genommen hätten. In jedem anderen Sektor der Wirtschaft würde man das nicht akzeptieren, nur bei Banken und Versicherungen ist uns bis jetzt nichts anderes einge­fallen.

Natürlich ist die Gefahr virulent, akut, dass hier in der Vergangenheit Gewinne privati­siert wurden und heute mögliche Verluste sozialisiert werden. Einzelne Banker – der Name Josef Ackermann ist heute schon gefallen – gießen nun wirklich Öl ins Feuer. Die Bemerkung, dass er den Bonus, der ihm für 2008 vertragsgemäß zusteht, großzü­gig spendet für die Mitarbeiter seines Hauses, nämlich der Deutschen Bank, ist nun wirklich, finde ich, nicht nur geschmacklos, sondern eine Provokation. (Beifall bei Grü­nen und SPÖ.)

Das ist eine Provokation, denn bis heute warten wir noch vergeblich auf eine flächen­deckende Antwort der Banker, der Vorstandsmitglieder, der Aufsichtsratsmitglieder an­gesichts des offensichtlichen Versagens von dem, was ich einmal als Incentive Design bezeichnen würde, also die richtige Strukturierung von Managerverträgen, sodass sie Risken eingehen, die vertretbar sind, aber nicht solche, die nicht vertretbar sind.

Die jetzige Krise hat andere Ursachen oder jedenfalls teilweise andere Ursachen als seinerzeit die Weltwirtschaftskrise, aber in der Dimension könnte sie ähnlich sein. Die Folgen, die bis jetzt eingetreten sind, sind nahezu identisch, nämlich erstens der dra-


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