Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll11. Sitzung / Seite 207

HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite

Wo wir jedoch skeptisch sind und wo wir nicht glauben, dass es die Lösung für diese Probleme ist, das ist beim gesetzlichen Mindestlohn. In ganz Europa wird eine Debatte um den gesetzlichen Mindestlohn geführt. Es gibt europäische Länder, die den gesetz­lichen Mindestlohn realisiert haben, und es gibt Länder, die den gesetzlichen Mindest­lohn nicht realisiert haben – wie Österreich –, wo aber andere Rahmenbedingungen vorzufinden sind.

Wenn man in der Diskussion Vergleiche zieht und etwa England betrachtet, dann sieht man, dass es in England eine wesentlich geringere Kollektivvertragsabdeckung gibt als in anderen Ländern.

Was die Diskussion über die Mindestlöhne in diesen Ländern auch mit sich gebracht hat, ist die Tatsache, dass die Anpassung dieser Mindestlöhne – und nur wenn sie an­gepasst werden, machen sie Sinn – jetzt in der Krise teilweise ausgesetzt wurde. Es gibt Beispiele in Europa, wo die Anpassung der Mindestlöhne durch die Wirtschafts­krise ausgesetzt wurde oder so niedrig erfolgt ist, dass die Mindestlöhne die von Ihnen gewünschte Wirkung nicht mehr erzielen können.

Ein weiterer wichtiger Grund, warum wir bei dieser Entwicklung skeptisch sind, ist die Tatsache, dass wir in Österreich pro Jahr über 600 Kollektivverträge – wie ich meine, sehr gut und im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – abschließen, dass es sich bei diesen Kollektivvertragsverhandlungen um eine sehr stark an den In­teressen und an den Rahmenbedingungen der jeweiligen Branche orientierte Ausein­andersetzung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern handelt und dass genau diese Flexibilität verschiedener Branchenkollektivverträge auch dazu führt, dass man die Situation in der jeweiligen Branche möglichst umfassend berücksichtigen kann, um dann in weiterer Folge die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Das heißt, unser jetziges System zeichnet sich auch durch eine sehr große Flexibilität aus.

Die Zweckmäßigkeit gesetzlicher Mindestlöhne ist auch davon abhängig, wie viele Be­schäftigte durch Kollektivverträge erfasst werden. Ich habe schon darauf hingewiesen, in Großbritannien liegt die KV-Deckungsrate bei 13 Prozent. Das heißt, 13 Prozent der Beschäftigten unterliegen überhaupt einem Kollektivvertrag. Da ist es klar, da braucht es einen gesetzlichen Mindestlohn. Die Debatte in Deutschland, wo es keinen gesetzli­chen Mindestlohn gibt, aber sehr viele politische Kräfte und auch die Gewerkschaften, die einen gesetzlichen Mindestlohn verlangen, findet deshalb statt, weil die Kollektiv­vertragsabdeckung mittlerweile auf unter 50 Prozent gesunken ist und daher eine Situation besteht, in der sehr viele – auch große – Bereiche nicht mehr durch einen Kollektivvertrag abgedeckt sind. Daher ist mir klar, dass die Gewerkschaften in Deutschland diese Forderung aufstellen, und ich kann sie dementsprechend auch nur unterstützen.

Die Kollektivvertragsabdeckung in Österreich liegt hingegen bei 95 Prozent, und wir haben viele Elemente, die zwar keinen gesetzlichen Mindestlohn bedeuten, die aber gesetzlichen Mindeststandards nahekommen und diesen zumindest sehr ähnlich sind.

Zum einen sind die Kollektivverträge, die in Österreich abgeschlossen werden, allge­mein verbindlich. – Das bedeutet, dass sie für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh­mer einer Branche gelten.

Zum Zweiten gibt es eine Reihe weiterer Möglichkeiten, die entsprechend eingesetzt werden können, um Mindeststandards im Einkommen festzusetzen: sei es die Möglich­keit der Satzung, die Möglichkeit des Mindestlohntarifs oder die Möglichkeit, die ortsüb­liche Bezahlung durchzusetzen. Für all diese verschiedenen Möglichkeiten gibt es ent­sprechende rechtliche Instrumente. Diese Möglichkeiten, diese rechtlichen Vorausset­zungen sind in Österreich wesentlich besser vorbereitet und wesentlich besser imple­mentiert als in den meisten anderen europäischen Ländern.

 


HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite