Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll17. Sitzung / Seite 184

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17.57.23

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Es sind drei gute Abkommen, denen die Grünen zustimmen werden. Namentlich kann ich jeden Satz unterschreiben, den Frau Cortolezis-Schlager vorhin über das Abkommen mit der Tschechischen Republik gesagt hat. Sicherlich eine wichtige Geschichte.

Zu dem Übereinkommen mit der UNESCO möchte ich nur kurz etwas sagen. Das ist ein Papier – fünfeinhalb Jahre hat es gedauert, bis das irgendwie von Paris, oder wo immer das war, nach Wien durchgedrungen ist –, und da gibt es im Artikel 2 einen interessanten Punkt, das immaterielle Kulturerbe. Zunächst, als Allererstes werden mündlich überlieferte Traditionen, einschließlich der Sprache, als Träger des imma­teriellen Kulturerbes genannt.

Da habe ich mir gedacht: Wie viele im Saale können ohne Kenntnis eines Satzkontexts mir ohneweiters übersetzen, was „icha“, „aucha“, „ocha“ und „ucha“ heißt? (Abg. Grosz: Schwierig!) Westtiroler bitte jetzt einmal still sein! In Innsbruck würden die Ausdrücke, nebenbei gesagt, völlig anders lauten.

Ich erwähne das deswegen, weil Journalistinnen und Journalisten manchmal so ein bisschen gelächelt haben, wenn ich gesagt habe, ich bin in Tirol zweisprachig aufge­wachsen: Hochdeutsch mehr oder weniger mit meinen Eltern, Kaunertaler Dialekt mit Freundinnen und Freunden. Aber ich traue mich zu wetten, dass sehr viele, speziell Wiener Journalisten selbstverständlich diese Worte nicht kennen, weil sie mit dem Hochdeutschen, meinem bescheidenen Verständnis nach, überhaupt nichts zu tun haben.

Ich habe selbst überlegen müssen: Was meint der Bauer, als er mir gesagt hat: „D’Straß’ isch haal heit!“? (Abg. Großruck: Die Straße ist rutschig!) „Haal“ war eisglatt. Oder als ich neulich mit der alten Bäuerin geredet habe, mit der ich gut befreundet bin, hat sie gesagt, „Mer hat’s des nit gebe!“ Ich habe gedacht: Was hat sie mit „mer“ gemeint? (Abg. Großruck: Herr Professor, Sie überfordern die Stenographen!) Ja, das stimmt. Ich werde dann versuchen, das phonetisch irgendwie wiederzugeben. Dieses „Mer“ heißt einfach „früher“. Also: Früher hätte es das nicht gegeben. Und, und, und.

Weiß jemand, was „vorfert“ heißt? Josef Cap? (Heiterkeit.) Da muss er passen, so wie ich gepasst habe, als ich nach Wien gekommen bin und viele Ausdrücke nicht gekannt habe.

Und jetzt muss ich zugeben, dass ich mich im oststeirisch-südburgenländischen Grenzgebiet sehr, sehr konzentrieren muss, um im Detail nachvollziehen zu können, was der befreundete Bauer zu mir sagt. Das halte ich für ein ganz wichtiges immaterielles Kulturerbe! Dieses UNESCO-Übereinkommen wird von alleine nichts dazu beitragen, dass wir das in Österreich erhalten!

Dabei möchte Sie auf Folgendes aufmerksam machen: Wir haben für die Erhaltung der wunderschönen Architektur der Habsburger viel Geld ausgegeben – mit Recht, ich freue mich jedes Mal, wenn ich ein Barockschloss bewundern kann, das ist harte, angreifbare Architektur. Auch die Sprache erhält sich nicht von selbst. Und diese Art von Dialektvielfalt, die wir in Österreich Gott sei Dank haben, verschwindet. Sie verschwindet automatisch mit der zunehmenden Mobilität der Leute, mit dem Tourismus – das gilt insbesondere für Tirol –, mit der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung. Das ist sozusagen ein Kollateralschaden der wirtschaftlichen Entwicklung.

Ich finde, wir sollten ein bisschen Geld ausgeben und uns die Mühe machen, dieses immaterielle Kulturerbe – das ein akustisches Kulturerbe ist – zu bewahren. Es geht hierbei nicht nur um die Etymologie der Worte, sondern auch um die Aussprache und um das Idiomatische, das unwiederbringlich verloren geht.

 


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