Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll23. Sitzung / Seite 368

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Stabilität sowie von der Erreichung der sozial- und gesellschaftspolitischen Maßstäbe, die an ein potentielles Mitglied der Europäischen Union anzulegen sind, noch weit entfernt ist. Insbesondere im Bereich der Menschenrechte bestätigte selbst der Bericht der Kommission noch Defizite.

Der am 8. November 2006 vorgelegte Fortschrittsbericht der Europäischen Kommis­sion fällt nicht wesentlich besser aus. Weiterhin finden Folter außerhalb von Gefäng­nissen sowie Menschenrechtsverletzungen insbesondere im Südosten des Landes statt. Es gibt Berichte über Fälle von Misshandlungen durch Gefängnispersonal. Mei­nungsfreiheit nach europäischen Standards ist mit dem bestehenden Gesetzesrahmen nicht garantiert. Auf nach wie vor mangelnde Unabhängigkeit der Justiz wird hinge­wiesen. Nicht-moslemische Religionsgemeinschaften haben noch immer keine Rechts­persönlichkeit und sind weiter mit Einschränkungen bei den Eigentumsrechten konfrontiert. Zu keinen besseren Ergebnissen kam der Fortschrittsbericht vom Novem­ber 2007, der weiterhin bestehende Defiziten unter anderem im Bereich der Minder­heitsrechte, im Bereich der Rechte von Kindern und Frauen, fehlende politische Refor­men sowie Probleme der Korruption in den Vordergrund der Kritik stellte.

Auf Grundlage des Fortschrittsberichts 2008, der im übrigen angesichts des Reform­stillstandes in der Türkei bzw. Rückschritts in vielen Bereichen diese Bezeichnung wohl schwerlich verdient, beschloss zuletzt am 12. März 2009 das Europäische Parlament eine Entschließung, in welcher man insbesondere besorgt ist, dass in der Türkei wäh­rend drei aufeinanderfolgenden Jahren eine kontinuierliche Verlangsamung des Reformprozesses zu verzeichnen sei, in welchem man bedauert, dass die umfas­senden Reformen der Verfassung in einem Streit über das Kopftuch endeten und zu einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft führten. Darüber wird kritisiert, dass die türkische Regierung keine Strategie zur Bekämpfung der Korruption vorlegte, dass die Meinungs- und Pressefreiheit noch immer nicht vollständig geschützt sind und es die Justiz unterlässt, die wachsende Zahl der Fälle von Folter und Misshandlungen zu verfolgen.

Die einzig richtigen Schlüsse aus dieser Zustandsbeschreibung der Türkei ziehend haben nunmehr der französische Staatspräsident Sarkozy sowie seine Amtskollegin Bundeskanzlerin Merkel die verbale Notbremse gezogen und sich einmal mehr gegen eine EU-Mitgliedschaft der Türkei ausgesprochen. „Wir brauchen ein gut organisiertes Europa. Das heißt aber auch, dass wir uns nicht grenzenlos erweitern können. Wir sollten der Türkei nicht weiter leere Versprechungen machen,“ so Sarkozy kürzlich in einem Interview mit der „Bild am Sonntag.“

Genau in diese Richtung stößt auch die deutsche Bundeskanzlerin, die mit den Worten, „Es macht keinen Sinn, wenn die EU um immer mehr Mitglieder erweitert werde, aber nicht mehr handlungsfähig ist,“ ihre ablehnende Haltung gegenüber einem Beitritt der Türkei zur Europäischen Union klar zum Ausdruck brachte, und sich für eine privilegierte Partnerschaft der EU mit Ankara statt einer Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union aussprach.

Vor diesem Hintergrund ist es mehr als unverständlich, dass die österreichische Bun­desregierung sich nicht für einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausspricht und damit offensichtlich einen Vollbeitritt der Türkei zur Europäischen Union weiterhin unterstützt.

Vor dem Hintergrund der dargelegten Fakten wären jedoch anstelle von Beitritts­verhandlungen mit der Türkei, die umgehend abzubrechen sind, Verhandlungen mit der Zielrichtung einer primärrechtlich verankerten verstärkten Zusammenarbeit in Form einer privilegierten Partnerschaft mit der Türkei der einzig vertretbare und damit ehrlichere Weg.

 


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