Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll39. Sitzung / Seite 77

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Immer mehr Menschen in Österreich sind armutsgefährdet, immer mehr fallen - teilweise für immer - aus dem Arbeitsmarkt heraus. Die Stabilität der Beschäftigungs­verhältnisse und entsprechend die Absicherung des Einzelnen nimmt seit Jahren spürbar ab. Die Krise trägt dazu bei, dass in immer stärkerem Ausmaß auch der Mittelstand von Arbeitslosigkeit betroffen ist und leistungsbereite Menschen oft erstmals in ihrem Leben mit längerfristiger Arbeitslosigkeit konfrontiert sind.

Wie dramatisch die Situation auf dem Arbeitmarkt ist zeigt die hohe Anzahl der Arbeitslosen schon seit vielen Monaten. Ende Feber 2009 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf den bisherigen Höchststand von 301.695 Personen. Bei den Lehrlingen gibt es im Vorjahresvergleich einen Beschäftigungsrückgang von 2.500 Lehrlingen. Trotz lang versprochener Ausbildungsgarantie haben über 7.400 Lehr­linge in diesem Monat eine Lehrstelle gesucht. Diese dramatische Situation hat sich durch die Verringerung der Zahl der offenen Lehrstellen auf rund 4.200 Lehr­plätze noch verschlimmert. Nach Expertenmeinungen ist aber durch die Wirt­schaftskrise bedingt noch mit weiteren Steigerungen der Arbeitslosenzahlen zu rechnen. Eine Besserung ist nicht in Sicht.

In dieser Situation ist eine Vielzahl von aktiven Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit erforderlich, die nicht nur in der Finanzierung von Arbeitslosigkeit – wenn auch in Ausbildung – bestehen kann sondern primär bei einer offensiven Wirtschaftsförderung gerade im arbeitsmarktintensiven KMU-Bereich ansetzen muss.

Gleichzeitig steht aber auch das Sozialsystem, das Armut und soziale Abstürze gerade in Krisenzeiten verhindern sollte besonders auf dem Prüfstand. Hier muss leider fest­gestellt werden, dass Österreichs Sozialstaat seinen Aufgaben nicht in befriedigendem Ausmaß gerecht wird und auch die nun in Aussicht genommenen Schritte nicht geeignet sind, wirksame Besserung zu bringen:

Rund eine Million Menschen in Österreich sind von Armut gefährdet. Laut Sozialbericht 2007/2008 des Bundesministers für Soziales und Konsumentenschutz leben 90.000 Kinder in Österreich in Armut, rund 250.000 sind armutsgefährdet. Diese dra­matische Situation wird sich aber noch weiter verschlimmern, wenn nicht en­tsprechend gegengesteuert und der Kampf gegen Armut und gegen die Arbeitslosigkeit wirklich angegangen wird.

Obwohl im heurigen Jahr laut Auskunft von Sozialminister Hundstorfer über 70 Milliar­den Euro an Sozialleistungen in Österreich ausbezahlt werden haben die betroffenen Menschen noch immer „zum Leben zu wenig - zum Sterben zu viel". Trotz kosten­intensiver Verwaltung erreichen Sozialausgaben nicht optimal die, denen tatsächlich geholfen werden muss. Zudem wird Leistung vom bestehenden System nicht honoriert, sondern eher bestraft. Die Komplexität des Sozialsystems begünstigt Missbrauch und Unterversorgung gleichermaßen. Familien sind derzeit bis zu einem Einkommen von 2.000 Euro monatlich finanziell sogar besser dran, wenn sie die Leistungen des Sozialstaats in Anspruch nehmen statt sich selbst zu erhalten.

Die einzige Neuerung die derzeit zur Diskussion steht, nämlich die geplante „bedarfs­orientierte Mindestsicherung“, entpuppt sich leider nur als ein – sicher positives – Mindestniveau der Sozialhilfeleistungen der Länder. Es bedeutet aber gleichzeitig eine nivellierte Leistung als arbeitsloses Grundeinkommen und bestraft somit diejenigen, die gerade im unteren Einkommensbereich für ihr Geld arbeiten, statt sich vom Sozialstaat erhalten zu lassen. Bei einem Mindestlohn von nur 1.000 Euro lohnt es sich dann sicher nicht mehr zu arbeiten! Gleichzeitig wird undifferenziert jedem gegeben, der Bedarf anmeldet, statt sowohl nach den in der Einzelsituation unterschiedlichen Bedürfnissen als auch nach den Leistungen des Einzelnen für die Erhaltung des gemeinsamen Sozialstaates stärker zu differenzieren und damit nicht alle gleich son-


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