Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll40. Sitzung / Seite 212

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Okkupationstheorie. Man sollte besser sagen: hat keine Geltung auf österreichischem Staatsgebiet, dann würde man nicht in eine theoretisch mögliche Konfrontation geraten.

Ferner – etwas, das hier nicht so klar zum Ausdruck kommt, ich aber zum Ausdruck bringen möchte –: Es gibt keinen Zweifel, dass die Tätigkeit der Militärstandgerichte oder Militärgerichtsbarkeit unzweifelhaft ein Instrument des NS-Terrors gewesen ist. Die Zahlen, die zur Verfügung stehen, belegen, dass mindestens 17 000, wahrschein­lich aber 25 000 – wenn nicht mehr – Todesurteile von diesen Gerichten ausgespro­chen und auch vollzogen worden sind; im Verhältnis zu den anderen kämpfenden Ar­meen ein Drama. Ich glaube, von den US-Streitkräften sind insgesamt nicht mehr als 20 Todesurteile zu verzeichnen, von den Engländern ungefähr ebenso viele, die Sow­jetunion ist völlig auszuklammern – kein rechtsstaatlicher Gedanke möglich in diesem Zusammenhang –, Frankreich hat etwas mehr Todesurteile verhängt. Der Unterschied also zwischen den kämpfenden Armeen vielleicht ähnlicher Größenordnung und der Deutschen Armee ist dramatisch genug. Es war ein Instrument des Terrors, keine Frage!

Sie hätten es der Freiheitlichen Partei leicht gemacht, diesem Gesetz zuzustimmen, wenn Ihnen § 4, also die Rehabilitierung, nicht unbedingt ein Anliegen gewesen wäre. Diesbezüglich sage ich klipp und klar, dass dies eine Ebene übersteigt, die unserem Verständnis des Gleichmachens nicht gleicher Sachverhalte nicht gerecht wird.

Es gibt auf die primäre Frage der Rechtfertigung der Desertion, die prinzipiell nicht dem positiven Rechtsbestand zugehört, in keinem Staat der Welt, differenzierbare Antwor­ten, und die erste Antwort, die die ÖVP seinerzeit gegeben hat, war auch jene, die wir uns zu eigen gemacht haben: Es käme bei Beurteilung doch auf den Einzelfall an.

Jetzt kann man sagen, das liegt lange zurück, aber es gibt eine objektive Untersu­chung, nämlich die des Schweizer Staates, der dorthin erfolgte Desertionen peinlichst genau untersucht hat. Es gibt ein Sample von 501 dokumentierten Befragungen von Deserteuren aus der Deutschen Armee, das ein sehr, sehr differenziertes Kausalitäts­bild beziehungsweise eine sehr differenzierte Motivengeschichte zum Ausdruck bringt; jedenfalls durchwegs menschlich verständlich, überhaupt keine Frage: Unglaube an den Endsieg, Angst vor Bestrafung wegen eigener Straftaten, Opposition gegen den Nationalsozialismus als politische Ausrichtung, Elsässer, Lothringer, Luxemburger fühl­ten sich als Ausländer schlecht behandelt, Angst vor der Ostfront, schlechte Behand­lung, und so weiter. Aktiven Widerstand gegen das Deutsche Reich leisteten aber nur elf Personen.

Dass natürlich nach 1945 Deserteure den Widerstandsakt in den Vordergrund gerückt haben, das ist verständlich, muss man aber nicht billigend teilen (Abg. Öllinger: War­um nicht?) – lassen Sie mich weitersprechen! –, wenn man andere Handlungen im Rahmen der Deutschen Wehrmacht aus dem Aspekt des Widerstandes, der ja unzwei­felhaft positiv konnotiert ist, betrachtet.

Ich erinnere an den österreichischen Major Carl Szokoll – den ich hier nicht näher be­schreiben muss –, einen der bedeutendsten Menschen Österreichs aus der Zeit des militärischen Widerstands, der maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Wien im Rah­men des russischen Angriffs auf Wien, soweit es ging, von schweren russischen Ver­nichtungsschlägen verschont geblieben ist. Szokoll hat sich in mehreren Diskussionen nicht positiv zur Desertion geäußert.

Ein anderer Mensch, den ich Ihnen näher bringen möchte, ein gewisser Wilm Hosen­feld, ein schließlich als Leutnant in Warschau gestandener Mann, der sich schon vor seinen aktiven Handlungen mit seiner Frau eindeutig gegen das NS-Regime ausge­sprochen hat, hat, nachdem er Gelegenheit dazu bekam, zahllose Polen und Juden vor der Verfolgung und der Deportation geschützt, indem er sie in seiner Abteilung be­schäftigt hat. Nachdem die Verteidigung der Festung Warschau von der Deutschen Ar-


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