Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll40. Sitzung / Seite 218

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Wenn man also wirklich danach strebt, die Opfer des Dritten Reichs zu rehabilitieren, wäre es sinnvoll gewesen, zum Beispiel das russische Vorbild anzuwenden. Dort sind zehntausende Wehrmachtsangehörige von der stalinistischen Justiz als Kriegsverbre­cher abgeurteilt worden, und Russland hat diesen Männern beziehungsweise ihren Fa­milien die Möglichkeit gegeben, im Einzelfall prüfen zu lassen, ob diese Verurteilungen gerechtfertigt waren. Etwa 90 Prozent dieser Überprüfungen haben dazu geführt, dass die Rehabilitierung durchgeführt wurde. Das sind dann Freisprüche, die den Familien tatsächlich Frieden geben können.

Die pauschale Aufhebung von Urteilen, bei der – wie auch in der NS-Zeit – nicht diffe­renziert wird, ob jemand zum Beispiel aus Mitmenschlichkeit Kriegsgefangenen gegen­über oder als echter Kameradenmörder gehandelt hat, ist keineswegs in derselben Form befriedigend. Bedenken Sie also, dass Sie aus diesem Grund mit diesem Gesetz ein falsches Zeichen setzen und dass dies dem Andenken der Widerstandskämpfer zu­dem nicht zuträglich ist! (Beifall bei der FPÖ.)

20.55


Präsident Mag. Dr. Martin Graf: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Mag. Steinhau­ser. Eingestellte Redezeit: 7 Minuten. – Bitte.

 


20.55.27

Abgeordneter Mag. Albert Steinhauser (Grüne): Sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist durch diesen Beschluss ein bedeutender Tag für Österreich. Dieses Gesetz bringt Genugtuung für Opfer des Nationalsozialismus. Die Opfergruppen sind bereits aufgezählt worden: die Opfer der Sonder- und Standgerichte sowie der Volksgerichte, die Opfer der Beschlüsse auf Zwangssterilisation und Zwangsabtreibungen – allein 6 000 Österreicherinnen waren von Zwangssterilisation betroffen. Körperliche Gebre­chen wie Blindheit und Taubheit sowie psychische Erkrankungen haben dazu geführt; das NS-Regime war gnadenlos.

Es ist Genugtuung für die Opfer des Terrors gegen Homosexuelle, und es bringt die ausdrückliche politische Rehabilitierung der Deserteure. Ganz wichtig ist auch, dass dieses Gesetz eine Generalklausel enthält, die besagt, dass alle Entscheidungen auf­gehoben sind, die Ausdruck typischen nationalsozialistischen Unrechts waren. Das ist deswegen notwendig, weil die Forschung immer wieder neue Opfergruppen entdeckt, die dann von diesem Gesetz nicht abgedeckt wären.

Wenn dieses Gesetz heute beschlossen wird, sind sämtliche NS-Unrechtsurteile besei­tigt. Das ist ein Meilenstein in der österreichischen Geschichte, weil Österreich klar Po­sition bezieht. Österreich sagt damit: Wir stehen hinter den Opfern des NS-Regimes, und wir stehen hinter jenen Menschen, die aktiv gegen das NS-Regime Widerstand ge­leistet haben! (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

Es hat lange gedauert – 64 Jahre –, aber auch die Debatte hier im Hohen Haus hat lange gedauert. Vor zehn Jahren war es ein erster Entschließungsantrag von Andreas Wabl – ich weiß nicht, ob er noch anwesend ist (der Redner blickt auf die Besucherga­lerie), er hat dieser Debatte eine Zeit lang zugehört –, der diese Diskussion ins Rollen gebracht hat. Dann hat Terezija Stoisits diese Diskussion erfolgreich weitergeführt, und heute, so glaube ich, sind wir am Endpunkt dieser Diskussion angelangt.

Ein weiterer Meilenstein waren die wichtigen wissenschaftlichen Untersuchungen von Walter Manoschek. Damit wurde mit dem Vorurteil aufgeräumt, dass Deserteure Ge­walttäter sind. Die Forschungsergebnisse haben ein ganz klares Ergebnis gebracht: Es wurden 1 300 Fälle von Desertion angeschaut, und nur bei 0,39 Prozent aller Desertio­nen war physische Gewalt im Spiel.

Wenn heute hier gesagt wird, dass Mord Mord bleibt, dann möchte ich Ihnen ein Bei­spiel bringen, und vielleicht überdenken Sie dann Ihre Position: Am 8. Mai 1945 hat die


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