Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll73. Sitzung / Seite 33

HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite

vor etwas vorgeben – UNO-Mandat, Neutralität –, obwohl sie dann bei der Gesetz­gebung wieder genau das Gegenteil tun. Ich darf nicht sagen, man belügt hier die Bevölkerung – überhaupt keine Frage, das würde ich hier nicht behaupten –, aber es ist ganz einfach nicht die Wahrheit, was man der Bevölkerung da präsentiert. Und das ist schade, weil man damit sehr viel an Offensivkraft wegnimmt.

Dann ist auch noch ein interessanter Verweis in den Erläuterungen zur Solidaritäts­klausel und zur Beistandsgarantie, denn das heißt ja auch wieder, Herr Kollege Van der Bellen, was Sie hier in Ihren Antrag hineinschreiben:

„Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates schulden die anderen Mitgliedstaaten im Einklang mit ... der Charta der Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung.“

Gut. Und dann schreibt man aber, damit irgendwie die Neutralität wieder hineinkommt: Österreich kann selbstverständlich im Einzelfall entscheiden, „ob und auf welche Weise Unterstützung geleistet wird“.

„Ob und auf welche Weise“! – Jetzt bitte doch noch einmal Völkerrechtslehrbücher zur Hand zu nehmen und dort nachzulesen, was an Vorleistungspflichten für einen dauernd neutralen Staat darin steht: Da ist eine grundsätzliche Bedingung, dass er jedenfalls immer zur Kenntnis bringen muss, dass er sich niemals – egal, unter welchen Umständen – an einem bewaffneten Konflikt aufseiten einer der Streitparteien beteiligen wird.

Sie bringen hier eine Entscheidungsmöglichkeit im Einzelfall. Das entspricht einem bündnisfreien Staat – jedes Land, das nicht irgendwo verpflichtet ist, einzugreifen, kann für sich selbst entscheiden, ob es an einem militärischen Konflikt teilnimmt oder nicht –, aber widerspricht den Grundsätzen des Völkerrechts für einen dauernd neutralen Staat.

Ich sage hier noch einmal: Ich bin sehr froh, dass wir hier auch solidarisch sein können. Ich bin auch sehr dafür, dass wir das entsprechend einsetzen. Ich bin aber auch sehr dafür, dass wir uns da in der Öffentlichkeit nicht hinter irgendwelchen Plattitüden verstecken, dass wir die Bevölkerung auch nicht hinters Licht führen. – Ich kann mich gut erinnern, ich bin einmal in einer SPÖ-Sektion in Meidling zu einer Diskussion eingeladen gewesen und habe das dort genau so gesagt. Die haben gesagt: Das stimmt nicht, Sie sagen uns da die Unwahrheit! Dann habe ich ihnen den Verfassungstext vorgelesen. Dann sind sie draufgekommen, dass nicht ich die Unwahrheit gesagt habe, sondern die, die ihnen das anders dargestellt haben. Und das ist falsch, meine Damen und Herren.

Wenn wir die Unterstützung der Bevölkerung haben wollen, auch für die Europäische Union und für ihre Instrumentarien, dann muss man ihr die Wahrheit sagen. Dann muss man die Wahrheit sagen, dass die dauernde Neutralität mit dem EU-Beitritt un­verein­bar gewesen ist, dass die dauernde Neutralität mit der erwähnten Verfas­sungsnovelle 1998 unvereinbar gewesen ist und selbstverständlich auch mit dem Lissabon-Vertrag unvereinbar ist.

Aber: Die Neutralität, die wir 1955 eingenommen haben, ist eine Antwort auf die völkerrechtlichen Probleme des Jahres 1955 gewesen. Wir brauchen jetzt andere Mechanismen, und das ist die Solidarität im Rahmen der Europäischen Union, das ist die gemeinsame Konfliktbewältigung und auch die entsprechende gemeinsame Aufgabenteilung. Und das, was wir hier einbringen, ist ein kleiner Teil gegenüber dem, was wir an Sicherheit von den anderen Staaten mitbekommen können.

Ich glaube, dass dieser Kompromiss, den man da geschlossen hat, anscheinend so wichtig war, dass man andere Dinge, die wirkliche Probleme sind, nicht beachtet hat


HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite