Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 275

HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite

AKW Isar 1, gerade mal 100 km von Österreichs Grenze entfernt, hätte laut deutschem Atomausstiegsgesetz bereits 2011 vom Netz sollen. Jetzt soll es bis mindestens 2019 weiter betrieben werden. Der deutsche Atomausstieg hätte bedeutet, dass in den kommenden zwei Jahren sieben AKW vom Netz gehen (vier davon in Grenznähe zu Österreich).

Die Regierung Merkel hat sich der Profitgier der deutschen Atomkonzerne unterworfen. Energie- und wirtschaftspolitisch ist dieser Schritt sinnlos und kontraproduktiv.

Laufzeitverlängerung schwerer Rückschlag für erneuerbare Energien 

Die ältesten acht AKWs erzeugen gerade soviel Strom wie Deutschland netto expor­tiert. Sie könnten abgeschaltet werden, ohne dass auch nur ein Licht ausgeht. Die Laufzeitverlängerung bremst zudem die erneuerbaren Energien in ganz Europa. Gemäß Gutachten der deutschen Bundesregierung wird es 2020 in Deutschland 21 Prozent weniger Wind, Wasser und Solarstrom geben, als wenn die AKW plan­gemäß vom Netz gingen. Deutschland ist das Zugpferd im europäischen Markt für erneuerbare Energien. Die Einbrüche werden sich daher nicht auf Deutschland beschränken.

Laufzeitverlängerung verstößt gegen deutsches Verfassungs- und EU-Recht

1. Die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke in Deutschland ist verfassungswidrig. Eine gesetzliche Regelung zur Verlängerung der Betriebszeiten der Atomkraftwerke in Deutschland bedarf nämlich der Zustimmung durch den Bundesrat. Die Bundes­regierung Merkel versucht indes, die Einigung am Bundesrat vorbei zu beschließen. Die deutschen Oppositionsparteien haben Klagen vor dem Verfassungsgerichtshof ange­kündigt. Geprüft wird derzeit ebenfalls, ob die Bundesregierung durch Verträge mit Energieversorgungsunternehmen ohne Einschaltung des Parlaments vollendete Tatsachen schaffen darf.

2. Die Laufzeitverlängerung ist nicht mit dem EU-Wettbewerbsrecht vereinbar. Die Vereinbarung stellt eine unfaire Begünstigung der großen Stromanbieter dar, die durch die längeren Atomlaufzeiten einen enormen Vorteil gegenüber anderen Energie­versorgern hätten. Zudem wird die Marktmacht der Atomkonzerne zementiert und der Wettbewerb auf dem Strommarkt entsprechend behindert. Stromanbieter, die ihren Strom durch regenerative Energiequellen erzeugten sowie kleinere Stromanbieter und Stadtwerke, haben einen erheblich schlechteren Zugang zum Markt.

3. Die Laufzeitverlängerung bricht den Euratom-Vertrag. Ein von Greenpeace in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten hat ergeben, dass Deutschland mit der geplanten Laufzeitverlängerung durch den Euratom-Vertrag eine Mitteilungspflicht nach Artikel 37 auslöst. Da die deutsche Bundesregierung dieser Mitteilungspflicht im Vorfeld des Gesetz­gebungsprozesses nicht nachgekommen ist, liegt hier ein Bruch von EU-Recht vor. Aus dem Greenpeace-Gutachten geht hervor, dass der deutsche Bundestag die Laufzeitverlängerung erst dann beschließen darf, wenn die Stellungnahme der Europäischen Kommission vorliegt. Dies ist bisher nicht der Fall, obwohl der Gesetz­gebungsprozess im deutschen Bundestag bereits kurz vor dem Abschluss steht.

4. Die Laufzeitverlängerung ist vergaberechtlich nicht vertretbar. Nach Ansicht des deutschen Juristen Stefan Hertwig kommt die Verlängerung der Betriebsgeneh­migun­gen für die deutschen Atomkraftwerke juristisch einer Neuerteilung gleich. Neue Pro­duk­tionslizenzen dürfen nationale Regierungen in einem europäischen Binnenmarkt für Elektrizität allerdings nicht so ohne Weiteres vergeben. Die jüngst wieder erneuerte Richtlinie über den Elektrizitätsbinnenmarkt (Art. 4, 6 und 7, 2003/53/EG) bestimmt eindeutig, dass neue Kapazitäten in einem "offenen, transparenten und diskriminie­rungsfreien Verfahren genehmigt oder europaweit ausgeschrieben werden müssen".


HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite