Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll83. Sitzung / Seite 30

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prinzipien in der Bundesverfassung verankert, nämlich das demokratische, das republi­kanische, das bundesstaatliche, das rechtsstaatliche und das gewaltenteilende Prinzip.

Einen weiteren Kernpunkt der Bundesverfassung aus 1920 möchte ich ausdrücklich erwähnen: Der Verfassungsgerichtshof erhielt umfassende und für viele andere Staaten vorbildhafte Gesetzesprüfungskompetenzen. Mit den Bestimmungen über die Verfassungsgerichtsbarkeit hat die österreichische Bundesverfassung internationale Maßstäbe gesetzt. Ohne alle Elemente aus 1920 hier aufzuzählen; kann man zusam­menfassen, dass die Bundesverfassung die Spielregeln für das Handeln staatlicher Institutionen festlegt und somit die wichtigste Grundlage für das Funktionieren unseres Staates ist, denn in ihr ist unser Staatsgefüge verankert. Somit sind Aufgaben und Kompetenzen sowie Rechte und Pflichten aller Staatsorgane definiert, und diese sind natürlich für alle bindend.

Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Ich habe mir erlaubt, die Steno­graphischen Protokolle und damit die Aufzeichnungen über die Debatten der dama­ligen Sitzungen verteilen zu lassen. Sie werden feststellen, dass viele Diskus­sions­punkte und Fragestellungen von damals heute immer noch aktuell und zum Teil auch unerledigt geblieben sind. Ich zitiere den damaligen Berichterstatter Dr. Seipel, der am 29. September 1920 die Verhandlungen einleitete und sagte – ich zitiere –:

„Der Verfassungsausschuss selbst, und zwar die Mitglieder aller Parteien, waren sich wohl dessen bewusst, dass unserem Verfassungsentwurf Mängel von nicht geringer Gewichtigkeit anhaften, Mängel, die über den Charakter bloßer Schönheitsfehler hinausgehen. Es ist vor allem ein großer Mangel, dass dieser Entwurf eines Bundes-Verfassungsgesetzes sehr bedeutende Lücken aufweist.“ – Zitatende.

Der Berichterstatter sprach damit an, dass zwischen den Parteien keine Einigung im Bereich der Grundrechte erzielt wurde. So musste auf das Staatsgrundgesetz aus 1867 zurückgegriffen werden. Schon damals konnte also kein Konsens über einen Katalog der Grund- und Freiheitsrechte gefunden werden. Bis heute hat sich daran, wie Sie wissen, nichts geändert, obwohl ja einige Versuche, beispielsweise im Rahmen des Österreich-Konvents, unternommen wurden. Ungelöst blieb auch die Kompetenz­verteilung auf dem Sektor der Finanzen und in Schulfragen, die erst Jahre beziehungs­weise Jahrzehnte später geregelt wurde.

Wenn wir daher heute über Föderalismus, über eine Neuverteilung der Aufgaben und Kompetenzen und damit über eine Bundesstaatsreform regelmäßig und immer wiederkehrend diskutieren, dann sind das all jene Bereiche, die auch vor 90 Jahren im Mittelpunkt der Debatte standen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Seit 1920 hat die österreichische Bundesverfassung bereits zahlreiche Novellierungen erfahren. Eine wesentliche war jene im Jahr 1929. Diese Novelle brachte unter anderem Neuerungen in einem Bereich, der auch in der heutigen Sitzung – exakt in der heutigen Sitzung – wieder auf der Tagesordnung steht, nämlich die Erweiterung der Kompetenzen des Rechnungshofes. – Im Übrigen wurde 1929 die Frist für die Vorlage des Budgetentwurfs durch die Bundesregierung von ursprünglich acht auf zehn Wochen ausgedehnt.

Ein weiterer großer Einschnitt in der Geschichte der Bundesverfassung war Öster­reichs Beitritt zur Europäischen Union, der 75 Jahre nach ihrem ersten Inkrafttreten eine Gesamtänderung der Bundesverfassung darstellte.

Meine Damen und Herren! Das Bundes-Verfassungsgesetz ist von sehr hoher Qualität. In seiner klaren Sprache ist es ein sehr gutes Fundament für Österreich. Ich bin der Meinung, dass gerade diese hohe Qualität eine Neuorientierung und Weiterentwick­lung erfordert, um diesen Standard auch für die Zukunft zu erhalten. Notwendige Ände-


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