Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll140. Sitzung / Seite 80

HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite

Dieser Vertrag sieht im Wesentlichen zwei Dinge vor. Ich versuche, es so kurz wie möglich zu machen. Das sogenannte strukturelle Defizit soll 0,5 Prozent des BIP nicht überschreiten, und es wird eine Art Schiedsgericht eingerichtet, der Europäische Gerichtshof, der bei Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien entscheiden soll.

Herr Vizekanzler, ich empfehle Ihnen dringend, Artikel 8 dieses Vertragsentwurfs gemeinsam mit Artikel 3 zu lesen. Für die Kollegen, die keine Zeit gehabt haben, sich das anzuschauen, sage ich kurz, worum es geht – ich lese es kurz auf Englisch vor, es liegt mir im Entwurf nur so vor –:

„The judgement of the Court of Justice of the European Union” – also das Urteil des Europäischen Gerichtshofes – „shall be binding on the parties in the procedure, which shall take the necessary measures to comply with the judgement within a period to be decided by said Court”.

Das heißt, man liefert sich dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus und man verpflichtet sich – „man“ ist der Staat, Österreich in dem Fall –, die Weisungen des Europäischen Gerichtshofs zu befolgen, und zwar innerhalb einer bestimmten Frist, die der EuGH vorgibt.

Meine Damen und Herren, das ist nichts anderes als die Aushebelung der Budget­hoheit des Nationalrates – damit uns klar ist, worum es hier geht! (Beifall bei Grünen und FPÖ.)

Jede fiskalpolitische Maßnahme, ob in steuerlicher Hinsicht, ob ausgabenpolitisch, ja das Budget selbst ist bekanntlich ein Bundesfinanzgesetz, das grundsätzlich der Überprüfung durch den VfGH unterworfen ist. Und wenn das an ein internationales Schiedsgericht übertragen wird, ist es gleichgültig, ob das der EuGH ist oder das Bezirksgericht von Olmütz. Es ist ein internationales Schiedsgericht, dem wir die Budgethoheit des Nationalrates ausliefern. Das hat eindeutig verfassungsändernden Charakter, meine Damen und Herren!

Das kann man jetzt gutheißen oder nicht gutheißen, aber es hat verfassungsän­dernden Charakter. Und wenn die Regierung glaubt, mit ihrer Mehrheit, mit einfacher Mehrheit einen Vertrag ratifizieren zu können, der eine Verfassungsänderung in Österreich impliziert, dann weiß ich nicht, was mit unserer Verfassung los ist. (Abg. Kickl: Jawohl!) Ich halte das für unmöglich und verfassungswidrig, was sich hier abzeichnet. (Beifall bei Grünen und FPÖ sowie des Abg. Hagen.)

Das hat, nur der Klarheit halber, überhaupt nichts damit zu tun, ob der Artikel 3, wo diese Bestimmungen mit dem Defizit und so weiter entwickelt werden, in Österreich in Verfassungsrang kommt oder nicht. Das ist eine separate Frage. Das ist auch eine wichtige Frage, aber eine separate Frage. Mir geht es um das Verhältnis zwischen Artikel 8 und der Budgethoheit des Nationalrats als wichtige Verfassungsbestimmung. Und es geht mir auch darum, das kann man auch gleich dazusagen, was mit dem Verhältnis zwischen dem österreichischen Verfassungsgerichtshof und dem EuGH ist.

In diesem Fall konkurrieren die Gerichtshöfe über österreichisches Verfassungsrecht. Im ersten Entwurf sind die nationalen Gerichte im Artikel 8 noch drinnen, im letzten Entwurf sind die wieder herausgefallen. Was bedeutet das? Hat die österreichische Bundesregierung dazu eine Meinung? Gibt es überhaupt eine Position, eine österreichische Position zu diesem Vertragsentwurf? – Darüber haben wir bis jetzt kein Wort gehört. (Der Redner hält ein Schriftstück in die Höhe.)

Nur nebenbei gesagt, meine Damen und Herren, nur damit uns das klar ist: „Struk­turelles Defizit“, das ist keine eindeutig definierte Größe. (Zwischenruf des Abg. Kickl.) Das wird aber hier auf Zehntelprozent des BIP angegeben, im österreichischen Gesetz auf Hundertstelprozent des BIP. Das ist ein statistisches Konstrukt, das schwer zu


HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite