Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll140. Sitzung / Seite 83

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Nun aber zur Kernproblematik: Kann die Europäische Union in der heutigen Situation und mit der heutigen Struktur diese Krise bewältigen, und wo liegen die Gefahren?

Erster Punkt: In Wahrheit tut sich die Europäische Union wegen Konstruktionsmangels schwer – da hat Karlheinz Kopf recht. Die wesentlichen Entscheidungen fallen nämlich in Strukturen, wo sich die EU-27 bis in die Nacht hinein mit Partikularinteressen aus­einandersetzen müssen, wo der britische Premier dort ausschließlich wie ein bestellter Agent der Akteure auf den Finanzmärkten die Interessen jener wahrnimmt, die weiter­hin ohne Einschränkungen Milliardenspekulationen vornehmen wollen, die jede Form von Reglementierung ablehnen, die jede Form von Finanztransaktionssteuer ablehnen, weil sie Milliarden verdienen.

Diese Struktur wird das Problem nicht lösen können. Daher werden wir eine Vertiefung der Europäischen Union vornehmen müssen. Und wenn eine Fiskalunion kommt, dann wird es eine Art von Fiskalunion sein müssen, bei der wir sehr genau darauf werden achten müssen, dass die demokratischen Rechte der europäischen Bürgerinnen und Bürger gewahrt sind, und zwar in diesem Fall durch das Europäische Parlament ge­meinsam mit den nationalen Parlamenten in den Verfahren gemäß Lissabon-Vertrag. – Das ist der einfache Teil.

Und dann gibt es noch eine Riesengefahr auf diesem Kontinent: Das sind jene Schrei­hälse – Sie haben soeben einen solchen Beitrag von meinem Vorredner von diesem Pult aus gehört (Abg. Hagen: Na hallo!) –, die die nationale Karte ausspielen und mit Sprüchen wie „Genug gezahlt!“ und „Wir lösen alles im eigenen Land, der Rest soll austreten, wir wollen aus Brüssel keine Diktate haben!“ agieren und damit die Lösung der Krise zerstören und schwächen. (Abg. Bucher – einen Zeitungsartikel in die Höhe haltend –: Nehmen Sie einmal Stellung dazu, was da steht!)

Nun ein Beispiel aus dem Nachbarland, nämlich Viktor Orbán, den Sie soeben ver­teidigt haben, Herr Bucher. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, wie zum Schaden des Kontinents, zum Schaden der Europäischen Union, aber auch zum Schaden des Landes Ungarn und der Ungarn selber, die bitter darunter leiden, Politik gemacht wird. Diese Art von Politik brauchen wir in keinem europäischen Land, wenn sie am Ende zur Katastrophe führen kann. Wir haben bei der letzten großen Weltwirtschaftskrise erlebt, wohin eine reine Sparpolitik führt, und als die Massenarbeitslosigkeit da war, war die einzige Antwort die nationale Karte.

Ich meine, das sollte für einen Kontinent eigentlich reichen, dass wir solche Experi­mente nicht wieder spielen. Aber Sie – und jetzt zeige ich bewusst auf zwei Oppo­sitionsparteien hier (in Richtung FPÖ und BZÖ weisend) – spielen ununterbrochen mit dieser Karte, auch bei uns, ein bisserl milder vielleicht als in anderen Ländern. (Abg. Bucher: Mit der Karte des Hausverstandes!)

Sie spielen mit der nationalistischen Karte: Die Griechen sollen nichts mehr kriegen – genug gezahlt! Sie fangen mit denselben Rezepten an, nämlich denen eines Herrn Orbán, der die Steuer, die Flat-Tax mit 16 Prozent festsetzt, aber keinen Forint zum Zahlen hat. Da müssen unsere Steuerzahler am Ende mittels IWF und Europäischer Union helfen. Und Sie wollen das Gleiche hier machen! (Abg. Bucher: Die Weltbank!) Genau, die Weltbank kritisiert, dass wir in eine Schwächeperiode hineinkommen. Und daher ist die beste Politik eine Politik, wie sie die österreichische Bundesregierung macht, nämlich Strukturreformen durchführen, Effizienz ausgabenseitig erhöhen, aber auch einnahmenseitig sanieren. (Zwischenruf des Abg. Bucher.)

Ich erinnere daran: Bei dieser letzten Weltwirtschaftskrise hat es in Deutschland nicht funktioniert, bis dort die „Braunen Hemden“ marschiert sind und der Reichskanzler Brüning mit dem Sparprogramm kam. Es hat auch bei uns nicht funktioniert mit Austro-Dollar. Es hat aber woanders funktioniert, nämlich über dem Atlantik. Dort hat ein Prä-


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