Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll150. Sitzung / Seite 77

HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite

Die Neue Mittelschule ist, wie bereits gesagt, grundsätzlich zu begrüßen, aber ich sehe sie als einen ersten Schritt und glaube, dass sie etwas zu hoch ansetzt im Gebäude „Bildung“. Wir bauen sozusagen den Dachboden schon aus, indem wir über Individual­förderung sprechen, indem wir darüber sprechen, dass wir die Kinder so fördern, wie sie es brauchen, dass wir ihre Begabungen erkennen und so weiter.

All diese Dinge sind wichtig und richtig, aber es fehlt das Fundament. Aber das Fundament wird nicht in der Neuen Mittelschule gelegt, nicht zwischen dem zehnten und vierzehnten Lebensjahr, sondern in der Volksschule. In der Volksschule wird das Fundament gelegt, und genau dort gibt es noch gewaltige Defizite.

Schauen wir uns einmal an: Was passiert mit einem Kind, das mit sechs oder sieben Jahren in die Volksschule geht? – Bevor es in der Schule ist, will es lernen. Es lernt auch jeden Tag etwas Neues. Ich habe selber zwei Kinder, die in diesem Alter sind, und ich sehe, wie gerne Kinder lernen, wie begeistert sie Neues aufnehmen. Und dann kommen sie in die Schule, und dann passiert etwas: Vorher wollen sie etwas lernen, nachher müssen sie etwas lernen. Genau das ist der Unterschied! Das heißt, sobald die Kinder in die Schule gehen, passiert etwas: Man verlernt ihnen sozusagen die Bereitschaft, zu lernen, sich Wissen anzueignen. Genau das ist mein Kritikpunkt!

Die Schule hat ein System, das über alle drüberschert – besonders in der Volksschule! Es wird da für alle gleich unterrichtet. Die Kinder werden – und das bräuchten wir! – nicht dort abgeholt, wo sie sind.

Ich sehe es bei meinem Sohn Markus, der jetzt sieben Jahre alt ist und gerade in die erste Klasse geht, was da passiert, vor allem was die Lesekompetenz betrifft: Es gibt Kinder, die lernen in der Volksschule nicht ausreichend lesen. Ein Drittel aller Volks­schulkinder, sagt die Statistik, kann nach der Volksschule nicht ausreichend lesen. Und was passiert, wenn ein Kind nach der Volksschule nicht ausreichend lesen kann? – Es liest einfach nicht gerne. Es liest nicht gerne! Es wird das sein ganzes Leben – und da gibt es auch Statistiken dazu – nicht gerne tun. Die Wahrscheinlichkeit ist gering – nur 50 Prozent –, dass dieses Kind jemals die Liebe zum Lesen entdeckt, wenn es in der Volksschule nicht ausreichend lesen gelernt hat. Und genau das ist das Problem: Wir vergessen sozusagen die Kinder in der Volksschule, wir bringen ihnen nicht ausreichend die Kulturtechniken bei, sodass sie dann später Freude daran haben!

Wir wissen: Alles, was wir gut können, machen wir auch gerne! Gerade beim Lesen wissen wir: Ein Mensch, der nicht gerne liest und der nicht in seiner Kindheit schon erfahren hat, wie schön lesen sein kann, wird das wahrscheinlich später auch nicht gerne tun. Und wir wissen, inwieweit sich das mit seinem Bildungsstandard deckt. Das heißt, ein Mensch, der nicht gerne liest, hat wahrscheinlich ein viel niedrigeres Bildungsniveau als jemand, der gerne liest.

Wir setzen mit der Neuen Mittelschule – und das ist begrüßenswert – im Obergeschoss an, im Dachboden, und das ist wichtig, denn auch da gehört einiges gemacht. Das sind viele Dinge, die sehr begrüßenswert sind. Aber wir müssen auch das Fundament betrachten, und das Fundament ist und bleibt nun einmal die Volksschule. Es muss für uns ein Menschenrecht sein, dass jedes Kind das Recht auf eine ordentliche Bildung hat. Das sagt sich so leicht: Ja, das wollen wir eh, jedes Kind soll das Recht auf eine ordentliche Bildung haben!, aber es ist für ein Kind mit 6 oder 7 Jahren nicht egal, wo es lebt. Es ist nicht egal, wenn es zum Beispiel in Wien lebt, in welchem Bezirk es dort lebt, oder wenn es in Niederösterreich lebt, wo es in Niederösterreich lebt. Das ist nicht egal, denn dementsprechend wird dann die Schule für das Kind ausgesucht. Das kann es sich nicht aussuchen, außer die Eltern haben genug Geld für eine Privatschule.

Wenn ein Kind im 10. Bezirk aufwächst, dann muss es auch dort zur Schule gehen, und da ist es nicht immer sicher, ob die Schule dem Kind auch wirklich das vermitteln


HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite