Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll203. Sitzung / Seite 119

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Der aktuelle Fall: Zwei Schülerinnen sitzen in der Schule und verstehen genauso nichts, wie Sie gerade eben. Das ist täglich der Fall. Stellen Sie sich vor, ohne Überset­zungsleistung den ganzen Tag wo zu sitzen und nichts zu verstehen, da würden Sie wahrscheinlich auch aufstehen und nach Hause gehen. Das müssen die Kinder jeden Tag aushalten. Bei diesen beiden Kindern ist das der Fall.

Im Bildungsbericht wird einiges beschrieben. Die Frage ist nur: Integration oder Son­derschule? Ich denke, beide Systeme haben ihre Berechtigung verloren. Warum ist das so? – Ich möchte hier noch einiges aufzeigen. Frau Ministerin! Ich weiß nicht, ob Sie wirklich alle Informationen direkt bekommen haben oder nicht, vielleicht hat das Ihr Beamtenstab bearbeitet. Es ist so, dass das Recht auf Sprache für gehörlose Kinder in Österreich nach wie vor nicht existent ist. Das wundert vielleicht den einen oder an­deren.

Es ist so: Bei gehörlosen Kindern wird Deutsch immer fremdgesteuert sein, genauso wie jede andere Sprache, wie Französisch oder Englisch. Dadurch, dass sie nicht hö­ren können, können sie sie nicht natürlich erwerben, sondern müssen gesteuert, näm­lich fremdgesteuert, Deutsch lernen. Das heißt, sie können es selbst nicht kontrollieren, was sie da tun. In diesem Punkt wird Gebärdensprache immer die Muttersprache sein, weil sie sie ganz natürlich erwerben können. Sie können sie zu Hause wahrnehmen, sie können auch selbst ihre Sprachentwicklung beobachten, und zwar ausnahmslos.

Das begreifen aber sehr viele Menschen nach wie vor nicht. Sie fragen: Wozu braucht man denn überhaupt noch Gebärdensprache? – Die haben ja eh Deutsch. Aber sie brauchen ein Fundament, denn ohne dem können sie auch keine weitere Sprache ler­nen, und das ist schwierig. Das ist ohne diese Grundlage zehnmal so schwierig.

Wie würden Sie sich ohne Muttersprache fühlen, wenn Sie vielleicht Chinesisch oder eine andere Sprache lernen? – Das braucht ja ewig lange. Sie können alle froh sein, dass Sie die Möglichkeit bekommen haben, Ihre Sprache natürlich zu erwerben. Und nach wie vor ist es so, dass diese Kinder zwar durch die Anerkennung ein formales Recht haben, aber im Unterrichtsgesetz wird das Recht auf Sprache bei der Gebär­densprache nicht erwirkt. Das ist der große Punkt dabei. Das hat Folgen. Der Sprach­stand bei Kindern in der Schule, die sechs Jahre alt und gehörlos sind, ist genau gleich, wie bei Kindern, die zwei Jahre alt sind und hören können. Das ist bitteschön noch ein optimales Ergebnis. Da gibt es noch schlechtere. Pflichtschulabgänger haben das Niveau von achtjährigen hörenden Kindern. Das heißt, sie sind schlecht beschult. Bei 80 bis 90 Prozent kann man von einem Analphabetismus sprechen.

Die LehrerInnen-Ausbildung wird diskutiert. Die Inklusion ist ein Thema. Aber dass LehrerInnen verpflichtet sind, die Gebärdensprache zu lernen, das gibt es nicht. Sie können einen 70-Stunden-Gebärdensprachkurs vorweisen, der allerdings ohne Prü­fung ist. Bitte wer kann denn Italienisch unterrichten, ohne ein Studium absolviert zu haben, ohne diese Prüfungen abgelegt zu haben und eine Kompetenz auf Level C nachweisen zu können?

In Österreich können, sagen wir einmal, geschätzte 5 Prozent der LehrerInnen die Ge­bärdensprache. Und woher kommen diese Kenntnisse? – Sie sind aufgrund von Eigen­initiative erlernt worden, weil sie eben jemanden in der Familie haben oder wirklich flei­ßig lernen. Das ist eine unmögliche Situation, und das müssen wir ändern! Diese bei­den Punkte sind ganz wichtig.

Jetzt möchte ich auf den Kärntner Fall zurückkommen. Das Kind sitzt in der Integra­tionsklasse. Der Landesschulrat, also nicht der Stadtschulrat, bemüht sich um Stütz­lehrkörper. Und sind die dann gebärdensprachkompetent? – Nein, die sind auf A1-Level. Schaffen die es auch, die Inhalte auf Gymnasiallevel zu unterrichten? – Das geht nicht. Das gibt es doch bitte nicht. Das ist skandalös. Wie kann man denn ein Kind


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