Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll100. Sitzung / Seite 61

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10.59.22

Mitglied des Europäischen Parlaments Eugen Freund (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundeskanzler! Damen und Herren auf der Regierungsbank! Sehr geehrte Abgeordne­te! Ich begrüße ganz besonders auch die vielen jungen Menschen auf der Besucher­galerie, aber natürlich auch die Älteren! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Korun.)

Hussein Khalid – ich habe ihn nicht gekannt, Sie haben ihn nicht gekannt – war 34 Jah­re alt, er stammte aus Qamishli in Syrien. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder und einem Freund wollte Hussein nach Deutschland, um dort sein Archäologiestudium zu beenden, doch so weit kommt er nicht. Er und die beiden anderen sterben einen qual­vollen Erstickungstod in jenem Lastwagen, der am 27. August neben der Autobahn im Burgenland gefunden wurde.

Ich erwähne das deshalb, weil wir oft vergessen, dass hinter den Flüchtlingsmassen und Flüchtlingsströmen Individuen stecken, Individuen mit Namen, Alter, Beruf und ei­nem Vorleben. Das sind Männer, Frauen und Kinder, die keine Möglichkeit mehr gese­hen haben, in ihrer Heimat zu überleben. Kinder, die nachts von Geschossen aus dem Schlaf gerissen wurden. Frauen, die versklavt, Männer, die gefangen genommen, ge­foltert werden oder der Gefahr ausgesetzt sind, einer Armee zu dienen, die ihre eige­nen Landsleute umbringt. (Präsident Kopf übernimmt den Vorsitz.)

Wir in Mitteleuropa und insbesondere auch in Österreich haben schon öfter gezeigt, dass wir mit Phänomena umgehen können, die uns im ersten Augenblick zu überwäl­tigen drohen. Denken Sie nur an die Ungarn-Krise oder den Krieg auf dem Balkan! Danach sind über 100 000 Flüchtlinge zu uns gekommen – und fast alle haben damals die Hand ausgestreckt und mitgeholfen, dass sich diese bedauernswerten Menschen hier wieder wohlfühlen.

Wir werden die jetzige Problematik, meine Damen und Herren, nicht mit der linken Hand lösen können, aber mit rechten Parolen schon gar nicht. Das sei auch einmal deutlich gesagt! (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wir haben, meine Damen und Herren, meiner Ansicht nach keine Flüchtlingskrise, son­dern eine Verteilungskrise, und da kommt die Europäische Union ins Spiel: Bis jetzt je­denfalls hat sich der EU-Rat der Krise gegenüber nicht gewachsen gezeigt.

Aber bevor wir mit dem Finger auf die anderen zeigen: Wie soll es denn im großen Europa funktionieren, wenn es sogar im kleinen Österreich Schwierigkeiten macht, wenn man hier nur schwer einige Länder und Gemeinden überzeugen kann, dass Hilfe notwendig ist, selbst wenn die Hilfe des einen das Problem eines anderen löst? Auf Europa übertragen: Wäre nicht eine Lösung, die Staaten zur Kasse zu bitten, wenn sie sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, also sich weigern, Solidarität zu zeigen?

Als Europaparlamentarier ist und war es mir immer wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir das Problem – der Herr Bundeskanzler hat es auch schon erwähnt – an der Wurzel packen müssen, also alles daransetzen müssen, den Krieg in Syrien zu beenden; ich habe das zum ersten Mal im April im Europäischen Parlament so formuliert. Aber dafür muss sich auch Europa mit ins Spiel bringen. Zum Glück hat das auch Federica Mogherini, die neue Außenbeauftragte der EU, so erkannt. Europa muss mit einem ro­busten, entschiedenen diplomatischen Auftreten dazu beitragen, dass Krisen gelöst wer­den. Und das gilt ganz besonders für eine Krise, die so stark auf uns einwirkt wie eben der Syrien-Konflikt.

Ich bin froh, dass hier in Wien ein wichtiger Anfang zur Beendigung dieses Krieges ge­macht wird, aber man wird hier wohl auch noch etwas anderes besprechen müssen, meine Damen und Herren, nämlich dass sich auch die USA ihrer Verantwortung für diesen Krieg bewusst sein müssen und mehr Flüchtlinge in ihrem Land werden aufneh­men müssen. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie des Abg. Hagen.)

 


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