Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll100. Sitzung / Seite 104

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Die Wirkung von anlassloser Massenüberwachung wird unterschätzt, wie die Diskus­sion über die Wiedereinführung der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung und auch der Gesetzentwurf zum Polizeilichen Staatsschutzgesetz zeigen. Dabei gibt es zahlrei­che Studien, die schon länger „Chilling Effects“, die „Schere im Kopf“ und auch eine Deindividualisierungsthese belegen: Menschen, die sich überwacht fühlen – unabhän­gig davon, ob dies tatsächlich geschieht – versuchen, ihr Verhalten an das der Masse anzupassen. Massenüberwachung führt zur Selbstzensur und kann damit als psycho­logische Verletzung der Meinungsfreiheit gewertet werden. Diese Freiheit ist aber ein wichtiges Fundament unserer Gesellschaft. Sie ist für uns Bürgerinnen und Bürger ele­mentar, denn um uns den gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen zur persönlichen Entwicklung zu stellen, brauchen wir Privatsphäre. Daher sind unsere Grundrechte und Freiheiten auch in unserer Verfassung und der Grundrechtecharta verbrieft.

Freiheit steht naturgemäß in einem konstanten Spannungsverhältnis zur Sicherheit. Auch diese ist wichtig, damit Bürgerinnen und Bürger ein erfülltes Leben führen kön­nen. Unsere Sicherheitsbehörden leisten dazu tagtäglich einen wichtigen Beitrag unter Nutzung eines sehr vielfältigen Bündels an Befugnissen zur Prävention, Ermittlung und Aufklärung von Verbrechen. Durch die fortschreitende technologische Entwicklung wer­den sich überdies auch im Bereich der Überwachung immer mehr neue Möglichkeiten auftun. Aber: Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch sinnvoll, zwingend not­wendig oder mit unseren Grundrechten vereinbar. Sonst könnte man schon jetzt nahe­zu alle Aktivitäten der gesamten Bevölkerung umfassend und vollständig überwachen. Bei Maßnahmen, die die Freiheit der Menschen beschränken, sollte aber immer vorher geprüft werden, ob diese zur Problemlösung überhaupt notwendig und geeignet sind und auch, ob sie als Eingriff in die Selbstbestimmung der Menschen verhältnismäßig zu real existierenden Problemen stehen. Diese Abwägung hat in jedem Einzelfall und immer wieder auch nachträglich zu geschehen, um ihre Verhältnismäßigkeit zu über­prüfen und so insbesondere systematische Beschränkungen zu verhindern.

Wie weit wir in Österreich konkret sind, was Überwachung und die pauschale Ein­schränkung von Freiheitsrechten Menschen betrifft, weiß allerdings niemand so genau. Gesetze und Diskussionen über neue Ermittlungsmaßnahmen und Befugnisse finden statt, ohne dass vorher eine Gesamtübersicht des Ist-Zustandes erstellt wird, ge­schweige denn eine Evaluierung der bestehenden Maßnahmen und Befugnisse durch­geführt wird.

Diese „Überwachungsgesamtrechnung“ ist aber elementar. Wo jede einzelne Maßnah­me für sich allein noch ausgewogen scheinen mag, kann eine Kombination aus meh­reren schon zur Totalüberwachung und damit dazu führen, ein komplettes Persönlich­keitsprofil erstellen zu können und tiefer in die Privatsphäre der Person einzudringen, als es der Bedrohungslage angemessen ist.

Über 100.000 Menschen haben 2012 die Bürgerinitiative des AK Vorrat unterstützt,
bei der es neben der Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung noch um einen wei­teren Punkt ging: „die bestehenden Terrorgesetze [...] zu evaluieren und falls diese entweder nicht notwendig oder nicht verhältnismäßig sind zurückzunehmen und das in der Verfassung verankerte Menschenrecht auf Privatsphäre wieder herzustellen.“ (http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/BI/BI_00037/fname_239249.pdf)

Zu einer solchen systematischen Gesamtschau ist es aber bis heute nicht gekommen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

 


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