Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll111. Sitzung / Seite 110

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11.52.45

Mitglied des Europäischen Parlaments Michel Reimon, MBA (Grüne): Sehr geehr­ter Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wertes Publikum! So überraschend es ist, es gibt wahrscheinlich eine Position, die alle Frak­tionen hier teilen. Wir streiten erschütternderweise darüber, ob wir Kinder retten, wenn sie auf ein Boot steigen, oder nachdem sie auf ein Boot gestiegen sind. Aber worüber wir hoffentlich nicht streiten, ist, dass wir grundsätzlich nicht wollen, dass sie überhaupt auf ein Boot steigen müssen. Oder? Streiten wir auch darüber? Sie wollen, dass Menschen flüchten? Das verwundert mich. Ich war der Meinung, wir alle wollen einmal grundsätzlich eine Politik, bei der Menschen nicht flüchten müssen und sich nicht in diese Notsituation begeben müssen. (Beifall bei den Grünen.)

Und warum müssen sie das? – Es gibt zwei große Probleme, die das auslösen. Das eine ist Assad. Assad hat zu wenige Soldaten, um seinen Bürgerkrieg zu gewinnen, und bombt Zivilisten seit vier Jahren in die Flucht – gezielt. Er bombt Städter in die Flucht, damit er diese Städte besetzen kann, weil er nicht genug Soldaten hat. Das löst die Flucht aus, seit vier Jahren, und wir haben keine Außenpolitik, die das verhindert und die da einschreitet. – Das ist einmal der erste Skandal, seit vier Jahren.

Das zweite Problem ist, dass wir nicht gemeinsam dagegen vorgehen, dass es keine gemeinsame, koordinierte Politik gibt (Abg. Pirklhuber: Richtig! Absolut richtig!), danach mit diesem Problem umzugehen. Es gibt drei EU-Staaten, die dann die dadurch entstandenen Flüchtlinge aufnehmen, und 25, die dagegen blockieren (Abg. Kogler: So ist es!), 25 Regierungen, die nationalistische Politik machen, neben denen am Schluss als einer der drei Staaten, die sie aufnehmen, Österreich übrig bleibt. Ihre nationalistischen Freunde sorgen dafür, dass Österreich übrig bleibt. Wenn wir Ihre Politik weiter fortsetzen, bleiben wir nur noch mehr übrig. Das ist das Problem. (Beifall bei den Grünen.)

Ich sage Ihnen etwas: Würden wir eine europäische Lösung einführen und Flüchtlinge auf Europa verteilen, würde das Folgendes bedeuten (Abg. Höbart: … schon x Millio­nen in Europa!) – warten Sie, das lässt sich mit den Grundrechnungsarten ausrechnen, das schaffen Sie –: Eine Million Flüchtlinge auf ganz Europa verteilt und gemeinsam verwaltet, das bedeutet (Abg. Höbart: Totschlagargument!) 0,2 Prozent der Bevölke­rung; das bedeutet für Wien 3 600 Flüchtlinge – viel weniger, als wir jetzt haben. Wenn Sie irgendetwas tun wollen, um eine geringe Flüchtlingsanzahl intelligent zu verwalten (Abg. Höbart: Das sind fast alles Wirtschaftsflüchtlinge! Die müssen wir gar nicht verteilen!), dann müssen Sie das gemeinsam, europäisch machen (Abg. Haider: Blau­äugig!) – und nicht mit Ihren nationalistischen Rezepten. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Höbart: Warum sollen wir Wirtschaftsflüchtlinge verteilen? Warum?)

Die gemeinsame Außenpolitik, die gemeinsame europäische Politik ist die einzige Antwort, die es darauf geben kann. Und Sie mit Ihren polnischen, französischen, engli­schen und so weiter nationalistischen Freunden, Sie zerstören dieses Europa, das das lösen könnte. Sie sind das Hauptproblem, wenn es um die Gründe dafür geht, dass Österreich in dieser Flüchtlingsproblematik übrig bleibt. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Und die ganze Sache geht weiter. Ich sage Ihnen, die Sache geht weiter: Jetzt ent­wickelt sich in der Türkei ein Bürgerkrieg. In der Türkei werden Städte zusammen­geschossen, werden Journalisten eingesperrt, werden Abgeordnete eingesperrt und angeschossen. Was machen wir, wenn das in drei Monaten, in sechs Monaten, in acht Monaten ein vollwertiger Bürgerkrieg mit Flucht ist? Was machen wir dann? – Nicht wie die ÖVP sagen, das konnte keiner vorhersehen. Das können wir jetzt vorhersehen, und wir bräuchten jetzt einen Außenminister, der zu diesem Thema arbeitet – und


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