Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll117. Sitzung / Seite 50

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gramm, bei hunderttausenden Menschen, wenn sie kommen, einmal eine Vorauswahl vorzunehmen: Wer hat überhaupt ein Asylrecht, wer hat keines? Und dann die Frage: Wie kann man sie verteilen? Das ist ja eine gewaltige Aufgabe. Darum komme ich gleich zu der Kernfrage, die morgen eine große Rolle spielt: Soll man mit der Türkei reden, ja oder nein? Und: Was soll man mit der Türkei reden?

Was außer Frage steht: Es gibt keinen inhaltlichen Werteabtausch zwischen der Euro­päischen Union und der Türkei. Das hat die Türkei auch nicht verlangt. Das würden wir aber auch niemals anbieten und sagen: Wir setzen uns nicht für Minderheitenrechte ein, wir setzen uns nicht für Meinungsfreiheit ein, denn wir brauchen jetzt irgendeinen Pakt! Es gibt keinen inhaltlichen Abtausch zwischen Grundwerten, wie eine Visali­beralisierung inhaltlich abzuwickeln und zu beurteilen ist (Abg. Kickl: Da hätten Sie bei anderen Ländern schon lange nach Sanktionen gerufen!), wie ein Beitrittsprozess zur Europäischen Union abzuführen ist, wie die Werte, die die Europäische Union hat, zu vertreten sind.

Was es mit der Türkei geben soll, ist eine ernsthafte Vereinbarung, die besagt, wir versuchen die EU-Außengrenzen insofern gemeinsam zu schützen, als die Türkei einverstanden ist, dass man Menschen zurückbringt, die sich verselbstständigen oder von Schleppern nach Griechenland gebracht werden.

Nun kann man natürlich sagen: Was ist so eine Vereinbarung wert? Aber ich möchte nur kurz noch einen Punkt in den Fokus bringen: Wie soll denn eine Außengrenze geschützt werden, wenn der Nachbar ablehnen würde, jemanden zurückzunehmen? Es gibt keine faktische Möglichkeit, dem Nachbarn jemanden zurückzubringen, wenn er das nicht in irgendeiner Art und Weise akzeptiert. (Abg. Kickl: Worüber verhandeln Sie denn dann?) Gegen den Nachbarn eine derartige Maßnahme zu setzen, wenn dieser Nein sagt, stellen sich manche entweder absichtlich, weil sie glauben, politi­sches Kleingeld machen zu können, oder unabsichtlich, weil sie sich das nicht bewusst gemacht haben, leichter vor, als es ist. Dem Nachbarland Menschen zurückzuführen, wenn es Nein sagt, ist faktisch, politisch wie auch rechtlich, nicht so einfach, wie ich das in vielen Kommentaren lese. Im Gegenteil!

Daher ist die Bereitschaft des Nachbarn, auch wenn er ein schwieriger Nachbar ist wie die Türkei, mitzuwirken, dass jemand zurückgebracht wird, der sich verselbstständigt hat, eine Voraussetzung für eine Vereinbarung. Daher ist diese Vereinbarung sinnvoll, wenn sie zustande käme, bei aller rechtlicher Problematik, die auch der Rechtsdienst des Ratspräsidenten und Kommissionspräsidenten aufgeworfen hat.

Aber es ist vom Prinzip her eine gemeinsame Kontrolle an Grenzen mit dem Nachbarn machbar, ohne den Nachbarn ist das mit extremen Schwierigkeiten verbunden. Das ist der Grund, warum man mit der Türkei spricht – und nicht ein falsch verstandener Romantizismus, wo man sich einbildet, na ja, da werden wir schon irgendwie alle über­zeugen, und zum Schluss geht alles gut aus. Nein, es ist nicht die Frage der Unter­schätzung der politischen Unterschiede, sondern es ist die Frage der Sinn­haftigkeit an einer Grenze, nicht alles Griechenland allein zu überlassen.

Sonst würde das bedeuten, wenn eine Million Menschen wie im Vorjahr oder vielleicht sogar zwei Millionen oder mehr sich über die Türkei verselbstständigen und nach Griechenland kommen, dass wir das alles in Griechenland abwickeln müssten, ohne den Nachbarn, ohne in Sachen Abreise etwas mitbeeinflussen zu können, ohne die Möglichkeit einer Rückführung in die Türkei. Das ist ein so erheblicher Aufwand, der natürlich mittel- und langfristig bewältigbar sein muss, um sich eben nicht dauerhaft auf die Türkei verlassen zu müssen, der aber eine derart gewaltige Herausforderung ist, mit der sich jeder, der ernsthaft an die Sache herangeht, politisch beschäftigen muss.

 


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