Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll117. Sitzung / Seite 75

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UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, klagt nach wie vor, dass gerade einmal 50 Prozent der Gelder, die es benötigen würde, um vor Ort die not­wendigste Hilfe zu leisten, tatsächlich vorhanden sind. Das ist die Realität. Das kann man nicht ausblenden. Damit sollten Sie sich ein bisschen ernsthafter befassen, anstatt hier Präsidentschaftswahlkampf zu betreiben. (Beifall bei den Grünen.)

Herr Bundeskanzler! Ich komme zurück zu dem, das mich so ärgert, und das wirklich gefährlich ist: Ich habe Ihnen eine Zeit lang geglaubt, dass Sie wirklich eine euro­päische Perspektive haben und dass Sie es mit diesem Gedanken, dass die Flücht­lingsfrage in Europa nur gemeinsam gelöst werden kann, wirklich ernst meinen. Sie haben sich jetzt mit dieser 180-Grad-Kehrtwende genau in das Boot jener gesetzt, die mit viel Kraft daran arbeiten, dass keine europäische Lösung zustande kommt.

Sie haben es sich mit Kanzlerin Merkel verscherzt, jeden Tag gibt es eine Provokation. Ich frage mich, was Freundschaften und politische Bündnisse wert sind, wenn man es schafft, seine Meinung innerhalb von so kurzer Zeit so drastisch zu ändern und sich auf eine andere Seite zu stellen. (Abg. Neubauer: Sieht das der Herr Pilz auch so? – Abg. Darmann: Der Sicherheitssprecher der Grünen sieht das anders!) Seehofer und Orbán freuen sich über diesen Kurswechsel in Österreich.

Ohne eine europäische Lösung geht es nicht – das sage ich noch einmal. Eine halbe Milliarde Menschen, 500 Millionen Menschen leben in der Europäischen Union. Letztes Jahr gab es eine Million Asylanträge. Wir, die 28 EU-Mitgliedstaaten, können das mit einer verbindlichen Verteilungsquote und einer gemeinsamen Standardisierung der Asylverfahren schaffen. Durch eine gemeinsame Finanzierung in der Europäischen Union sind auch die Gelder dafür vorhanden.

Die Kommission arbeitet auch in diese Richtung. In diese Richtung geht auch unser Modell. Wir haben das letzte Woche noch einmal vorgestellt, und europaweit vertreten alle Grünen dieses Modell. Das Modell sieht so aus: Bei Erfüllen der verbindlichen Quote gibt es einen Jahressatz für die Versorgung pro Flüchtling, bei Übererfüllung der Quote gibt es vollen Ersatz der Kosten für Unterbringung und Versorgung. Das ist auch die Lösung, an der die Europäische Kommission arbeitet. Ich würde mir von Ihnen, der Bundesregierung, wünschen, dass Sie diese Lösung mit aller Kraft und ganz radikal unterstützen. Anders wird es nicht gehen. (Beifall bei den Grünen.)

Der Vizekanzler, der auch eine Kehrtwende vollzogen hat, spricht jetzt von Invasion und so weiter. In einem Zitat vom September war das noch anders, da sagten Sie: „Leute, die um ihr Leben kämpfen, lassen sich von Stacheldraht, wahrscheinlich auch von Schüssen nicht abhalten. Not und Elend kann man nicht aussperren! Man muss das Problem lösen!“

Ein weiteres Zitat von Ihnen, Herr Vizekanzler, das ich damals sehr unterstützt habe, lautet:

Es gilt, sich tatsächlich zu entscheiden. Will man weiter Angst schüren, will man innen­politisch Kleingeld damit machen, will man damit Wahlkämpfe in irgendeiner Form befeuern, oder will man wirklich eine Lösung für eine sehr große Herausforderung? – Zitatende.

Im Moment sind Sie in die falsche Richtung abgebogen. Sie haben sich von der europäischen Lösungsmöglichkeit verabschiedet. Mit diesem Abschied arbeiten Sie jenen in die Hände, die keine europäische Lösung wollen.

Einen Satz zum Schluss noch dazu, dass viele aus Ihren Reihen sagen: Wir sind enttäuscht von der Europäischen Union. (Zwischenruf des Abg. Darmann.) Reflek­tieren Sie doch einmal: Wer ist denn die Europäische Union? – Das sind die 28 Staats- und Regierungschefs, von denen ein Großteil nicht an einer gemeinsamen Lösung


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