Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll117. Sitzung / Seite 93

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dann halte ich das für ein gelebtes und selbstbewusstes Parlament wirklich für höchst problematisch. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten der Grünen.)

Der Herr Bundeskanzler hat, glaube ich, zumindest teilweise ganz richtige Dinge gesagt. Er hat einerseits gesagt, die Türkei ist ein Nachbar, wenn auch ein schwieriger, und mit einem Nachbarn muss man reden. Das sehe ich auch so. Ich glaube, es wird nicht funktionieren, dass wir in dem Zusammenhang ohne Nachbarn zu Lösungen kommen werden.

Das Zweite, was er gesagt hat, war, es darf keinen inhaltlichen Werteaustausch zwi­schen der Europäischen Union und der Türkei geben. Das Problem ist nur, dass der Plan, der momentan auf dem Tisch liegt, bis zu einem gewissen Grad so einen Werte­austausch vorsieht.

Dieser Plan kann nur dann funktionieren, wenn wir uns auf europäischer Ebene darauf einigen, dass die Türkei einerseits ein sicherer Drittstaat und andererseits ein sicherer Herkunftsstaat ist. Wenn wir das nicht machen, dann wird es auf der einen Seite schwierig werden, dass Griechenland alle Flüchtlinge in die Türkei zurückschickt, und auf der anderen Seite wird es schwierig werden, weil sich viele Kurden, die in der Türkei unter Repressionen leiden müssen, irgendwann einmal, wenn es Visaerleichte­rungen gibt, auf den Weg machen und bei uns um Asyl ansuchen werden.

Es gibt im Plan momentan drei ganz wesentliche Punkte, weshalb dieser Plan einer­seits rechtlich wohl nicht in Ordnung und andererseits moralisch auch verwerflich ist: Der erste Punkt ist, dass die Türkei kein sicherer Drittstaat ist; der zweite Punkt ist, dass Massenrückschiebungen, so wie sie vorgesehen sind, weder nach der Flücht­lingskonvention noch nach der Menschenrechtskonvention in irgendeiner Art und Weise möglich sind; und der dritte Punkt – das haben wir auch schon gehört – ist die momentane Menschenrechtssituation in der Türkei.

Ein sicherer Drittstaat ist ein Land, in dem Flüchtlinge, wenn sie dort hinkommen, die Möglichkeit haben, ein Asylverfahren zu beantragen und in dem sie gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention Schutz finden können. Das heißt, sie müssen die Möglichkeit haben, menschenwürdig unterzukommen, einstweilen dort zu leben und dort zu bleiben. Die Voraussetzung dafür ist, dass sie überhaupt einen Asylantrag stellen kön­nen, ihr Schutzbegehren ein faires Verfahren bekommt, und dass sie dann auch men­schenwürdig aufgenommen werden und unterkommen können, falls sie einen positiven Asylbescheid bekommen.

Es ist momentan in der europäischen Aufnahmerichtlinie so geregelt, dass ein sicherer Drittstaat ein Staat ist, der die Genfer Flüchtlingskonvention ohne regionalen Vorbehalt ratifiziert hat. Das hat die Türkei nicht, die Türkei hat die Genfer Flüchtlingskonvention zwar ratifiziert, aber mit einem Vorbehalt, nämlich dass in erster Linie nur europäische Staatsbürger und europäische Unionsbürger überhaupt um Asyl ansuchen können. Das heißt, hier fällt das einmal raus, demnach kann die Türkei kein sicherer Drittstaat sein.

Die zweite Möglichkeit, die es gibt, ist, dass die regionalen Vorbehalte nicht das Prob­lem sind, nach Art. 38 der Aufnahmerichtlinie. Dabei geht es aber auch darum, dass die faktischen Möglichkeiten der Genfer Flüchtlingskonvention – das heißt, dass ich überhaupt um Asyl ansuchen kann und dass die materiellen Garantien überhaupt gewährleistet werden – eingehalten werden. Auch hier sagt die Europäische Kom­mission selbst, dass ganz massive, gravierende Mängel vorliegen. Das heißt, auch so kann die Türkei kein sicherer Drittstaat sein.

Der zweite wesentliche Punkt ist die Frage der Kollektivausweisungen. Ich habe schon gesagt, es geht weder nach der Europäischen Menschenrechtskonvention noch nach


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