Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll123. Sitzung / Seite 136

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internationalen Schutz beantragen (Neufassung), ABl. Nr. L 180 vom 29. Juni 2013 S. 96 (nachfolgend „Aufnahme-RL“) oder die Verfahrens-RL erlassen.

Gemäß den Bestimmungen des Art. 78 Abs. 3 AEUV kann der Rat bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen im Falle eines plötzlichen Zustroms von Drittstaats­angehörigen, auf Vorschlag der Europäischen Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments vorläufige Maßnahmen zugunsten des betroffenen Mitglied­staates erlassen. Auf der Grundlage von Art. 78 Abs. 3 AEUV nahm der Rat am 14. bzw. 22. September 2015 zwei Beschlüsse zur Einführung von vorläufigen Maßnah­men im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland an. Dem Beschluss (EU) 2015/1523 des Rates zufolge sollen 40.000 Personen, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, von Italien und Griechenland aus auf andere Mitgliedstaaten umverteilt werden. Der Beschluss (EU) 2015/1601 des Rates sieht vor, dass 120.000 Personen, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, aus Italien und Griechenland sowie aus anderen Mitgliedstaaten, die mit einer Notlage konfrontiert sind, auf andere Länder umverteilt werden.

Ermächtigung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit durch die Mitgliedstaaten gemäß Art. 72 AEUV

Gemäß Art. 72 AEUV berühren die Vorschriften des RFSR nicht die Wahrnehmung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit.

Diese Bestimmung dient überwiegend der Begrenzung der unionsrechtlichen Kompe­tenzen im Bereich des RFSR, sowie der Ermächtigung der Mitgliedstaaten, von dem in diesem Bereich erlassenen Sekundärrecht (Verordnungen und Richtlinien) aus Grün­den der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit abzuweichen (etwa Breiten­moser/Weyeneth, in von der Groeben/Schwarze/Hatje [Hrsg.], Europäisches Unions­recht, Art. 72 AEUV Rn. 20; Herrnfeld, in Schwarze [Hrsg.], EU-Kommentar3 [2012], Art. 72 AEUV Rn. 3; Weiß, in Streinz [Hrsg], EUV/AEUV. Kommentar2 [2012], Art. 72 AEUV Rn. 4; ähnlich, wenngleich auf Abweichungen von den Grundfreiheiten be­schränkt, Röben, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union. Kommentar [Loseblattausgabe], Art. 72 AEUV Rn. 17). Von einer derartigen Befugnis zur Abweichung von Sekundärrecht können die Mitgliedstaaten aber lediglich in Ausnahmefällen und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit Gebrauch machen.

Art. 72 AEUV ist dabei im Kontext mit Art. 4 Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) zu lesen, der die Union verpflichtet, ganz allgemein und in allen Kompetenzbereichen die grundlegenden Funktionen des Staates, insbesondere die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der nationalen Sicherheit, welche „weiterhin in die alleinige Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten“ fällt, zu wahren. Daraus erschließt sich, dass Art. 72 AEUV für den RFSR nicht nur die Reichweite der Kompetenzen der Union begrenzt, sondern einen darüber hinaus­gehenden Inhalt normiert, der nur dahingehend interpretiert werden kann, dass die Mitgliedstaaten von den unionsrechtlichen Vorgaben aus Titel V des AEUV abweichen dürfen. Andernfalls würde sich Art. 72 AEUV als eine reine inhaltliche Wiederholung der in Art. 4 Abs. 2 EUV dargelegten und für alle Kompetenzbereiche der Union geltende Regelung erweisen. Eine derartige sinnentleerte „Verdoppelung“ für den RFSR kann aber dem Unionsgesetzgeber nicht unterstellt werden.

Das Ziel des Art. 72 AEUV besteht somit darin, die Angelegenheiten der Aufrecht­erhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit grund­sätzlich in der Verantwortung der Mitgliedstaaten zu belassen (siehe auch Herrnfeld, in Schwarze [Hrsg.], EU-Kommentar3 [2012], Art. 72 AEUV Rn. 1 ff.). Dieses Ziel kann


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